Sachbuch:
Ta-Nehisi Coates
Preis:
19,90 €

Rezension von:
Bewertung:
5
23. Februar 2017
Letzte Änderung:18. November 2017

Der Rassismus in uns. Mustread!

Zwischen mir und der Welt

Jeder Satz ist der Hieb eines Vorschlaghammers in das Mythengebäude des weißen Amerikas mit seinen Weinproben und Gartenpartys. Die USA sind entstanden durch die „Plünderung von Leben, Freiheit, Arbeitskraft und Land; durch das Auspeitschen von Rücken, das Anketten von Gliedmaßen, das Erdrosseln von Andersdenkenden, die Zerstörung von Familien, die Vergewaltigung von Müttern, den Verkauf von Kindern“, stellt Ta-Nehisi Coates nüchtern anklagend fest. In einem Brief an seinen 15-jährigen Sohn schildert Coates, was es bedeutet in den USA Schwarz zu sein. Er zertrümmert damit nicht nur das Lügengebäude jener Weißen, die sich selbst als hervorragende Nation begreifen. Er zerstört auch zugleich den Selbstbetrug liberaler US-Amerikaner, die glauben den Rassenkampf in einen Klassenkampf transformieren zu können. Als sei Rassismus lediglich eine Frage der Verteilung des Reichtums.

„Amerikaner glauben an ‚Rasse‘ als fest umrissenes, naturgegebenes Merkmal unserer Welt. Rassismus – das Bedürfnis, Menschen bis ins Mark zu kategorisieren und daraufhin zu demütigen, zu reduzieren und zu vernichten – wäre demnach eine unvermeidliche Folge dieser unabänderlichen Gegebenheit. So wird Rassismus zur unschuldigen Tochter von Mutter Natur (…). Doch Rasse ist das Kind des Rassismus, nicht seine Mutter. Und die Definition eines ‚Volkes‘ hatte nie etwas mit Abstammung und Physiognomie zu tun, sondern immer mit Hierarchie.“ Sätze, die gerade in Deutschland eine bedrückende Wirkmächtigkeit erreichen, ist es doch gerade einmal etwas über 70 Jahre her, dass die Deutschen aus Rassismus und Antisemitismus Millionen Menschen vernichteten.

Ta-Nehisi Coates ist ein herausragender Analyst der Gegenwartsgesellschaft der USA und ihrer Geschichte. Es sind die Kontrastierungen, die das Potenzial haben, Menschen aus ihrem Tiefschlaf zu reißen. Während sich im schwarzen Amerika, junge Menschen gegenseitig bedrohen und ermorden, werden im weißen Amerika Blaubeerkuchen und Eisbecher gegessen. Während das schwarze Amerika in Ghettos lebt, haben sich die Weißen in schicken Vorstädten verschlossen. Während das weiße Amerika die Standards setzt, glätten sich schwarze Frauen die Haare. Rassismus zeigt sich häufig in den Details, im Alltag. Das ist auch der Grund warum es in Amerika keine Rassisten gibt, so wie es in Deutschland keine Antisemiten mehr gibt. Man nimmt sich selbst eben nicht so wahr. „Black is beautiful“ ist der Versuch das eigene als wertvoll zu etablieren, die Standards der weißen Gesellschaft zu durchbrechen. Sich nicht den Normen der Herrschenden unterzuordnen und die Ungerechtigkeit auch noch als naturgegeben zu akzeptieren.

Dabei ist „Zwischen mir und der Welt“ nicht lediglich eine Anklage, sondern zu gleich ein sprachgewaltiges Sachbuch, eine Biografie – eine alternative Biografie der USA. „‚Gute Absichten‘ sind ein Passagierschein durch die Geschichte, eine Schlaftablette für den ungefährdeten Traum.“ Den Traum der amerikanischen Demokratie in der Gleichheit herrscht. Der Traum in der sogar ein Schwarzer Präsident werden kann.

Hass stiftet Identität

Coates zeigt an zahlreichen Beispielen auf, was es bedeutet in den USA Schwarz zu sein. Er zeigt auf, dass ein rassistisches Amerika die Morde an Schwarzen ignoriert. Einerseits um die eigene Macht aufrecht zu erhalten und andererseits, um sich nicht mit den Konsequenzen auseinander setzen zu müssen. Und hier schwankt Coates zwischen soziologischer Analyse und agitierender Anklage. Beides hat seine Berechtigung: „Das Problem mit der Polizei ist nicht, dass alles faschistische Schweine sind, sondern dass das Land von Mehrheitsschweinen regiert wird.“ Aus diesen Worten klingen Wut, Angst und Verzweiflung. Es ist der Ausdruck authentischer Gefühle. „Die Galaxie gehörte ihnen, und während unseren Kindern Schrecken eingeimpft wurde, war es bei Ihnen Überlegenheit.“

Dem Brief an seinen Sohn ist in der deutschen Ausgabe noch ein älterer Essay (von 2014) nachgestellt. Bei seiner Veröffentlichung in den USA verursachte dieser eine heftige Debatte. Brachte Coates doch nicht weniger ein, als die Forderung nach Reparationen an der schwarzen Bevölkerung.

Coates erinnert uns daran, dass Gerechtigkeit erkämpft werden muss. Die Herrschenden sorgen nicht von sich aus für gerechte Bedingungen. Es sind immer die Unterdrückten, die Ausgebeuteten, die für ihre Rechte kämpfen müssen. Erst dann finden sich auch Verbündete in der Mehrheitsgesellschaft. „Zwischen mir und der Welt“ ist der Glockenschlag, um die im Konsum und der eigenen Überlegenheit komatisierende Gesellschaft aufzuwecken. Auch das ist Amerika. Oder besser: Genau das ist Amerika. Es ist nicht lediglich eine Geschichte über das schwarze Amerika. Es ist nicht einmal eine Geschichte über das weiße Amerika. Denn sind wir wirklich anders? Ist ein Sarrazin-Rassismus weniger gefährlich. Und somit schreibt Coates eine universale Geschichte von Menschen. Es ist unsere Geschichte. Es ist die Geschichte des Lesers. Ein modernes Gnothi seauton – Erkenne dich selbst.

Mehr Informationen direkt bei Hanser Literaturverlage inklusive Leseprobe.

Wen die soziologischen Hintergünde mehr interessieren, sei Norbert Elias „Etablierte und Außenseiter“ ans Herz gelegt.

Ta-Nehisi Coates
Zwischen mir und der Welt
übersetzt von Miriam Mandelkow
Erscheinungsdatum: 01.02.2016
240 Seiten
Hanser Berlin
Fester Einband
19,90 €
ISBN 978-3-446-25107-6
ePUB-Format
ISBN 978-3-446-25195-3