42 Grad
Wenn man nichts Gutes über jemanden sagen kann, sollte man lieber schweigen. Ein Bonmot, das ich hier im Wesentlichen beherzige. Wer öfter bei Koreander reinliest, wird bemerkt haben, dass ich sehr wenig wirklich negative Rezensionen veröffentliche. Das liegt zum einen daran, dass ich mir meine Bücher genau aussuche und einige Genres komplett meide und somit nur selten wirklich enttäuscht werde. Und zum anderen, dass ich für negative Rezensionen wenig Zeit aufwenden möchte und diese dann nur in Kurzform bei einem großen Onlinehandel publiziere. Aber es gibt auch Ausnahmen und dieses Mal trifft es Wolf Harlanders 42 Grad. Auch wenn es ein Debüt ist, und auch wenn da sicherlich richtig viel Arbeit drinsteckt, komme ich nicht umhin einen ziemlichen Verriss zu schreiben.Das Beste am Roman ist die Grundidee, zu der Harlander, gelernter Journalist, offensichtlich viel recherchiert hat. Was nicht bedeutet, dass die Behauptungen im Roman deshalb stimmen. Vielmehr sind die Erkenntnisse der Recherche teils bis zur Unkenntlichkeit verfremdet oder einfach falsch.
Europa erlebt mal wieder einen Jahrhundertsommer. Und während sich anfangs noch alle freuen, kippt die Stimmung, als die Temperaturen immer weiter steigen und Regen nicht in Sicht ist.
Klimawandel ist natürlich, neben Pandemien, das aktuelle Thema der Menschheit. Insofern sind andauernde Hitzewellen mit all ihren Konsequenzen, Waldbrände, Wassermangel, austrocknende (natürliche) Wasserreservoire, sterbende Menschen, Unruhen und hilfloser Aktionismus von Politiker*innen ein äußerst spannendes Thema und Ausdruck des Zeitgeistes. Diese Idee hätte also reichlich Potenzial für eine spannende Geschichte. Dass aber nicht jeder Journalist und guter Rechercheur auch ein guter Romanautor ist, zeigt sich bei 42 Grad recht schnell.
Katastrophenroman oder katastrophaler Roman
Die Story ist dermaßen absurd geplottet, dagegen wirkt jeder James Bond Film wie eine Arte-Dokumentation. Nicht nur, dass die Charaktere äußerst schlicht gehalten sind, das mag ja in Teilen noch dem Genre geschuldet sein, aber die hanebüchene Hintergrundgeschichte ist zum Haare raufen. Wirklich ärgerlich. Nicht nur, dass alles erstaunlich durchschaubar ist und komplett ohne überraschende Wendungen auskommt, je mehr man liest, desto Groschenromaniger wird die Geschichte.
Wer Logik in Romanen mag oder gar benötigt, sollte ganz dringend die Finger von 42 Grad lassen. Denn mit Logik stehen alle Figuren im Roman auf Kriegsfuß. Und dabei meine ich auch nicht nur die stereotypen und klischeeverzerrten genretypischen Fehlhandlungen, damit spannende Momente erzeugt werden können – die gibt es auch zuhauf (jemand der Angst im Dunkeln hat, vergisst seine Taschenlampe und lässt das Handy mit dem Licht fallen, wobei der Akku eh nur zwei Prozent hat. Uff.) – ich meine vor allem den umfassenden Plot. Was hat sich der Autor dabei nur gedacht?

Sehen so Ökoterroristen aus? | Autor: mil.ru
Um Hitzewellen geht es nämlich alsbald nur noch Nebenbei. Auch Klimaerwärmung spielt plötzlich überhaupt keine Rolle mehr, wird sogar abgekanzelt als normale Launen der Natur. Und daran erkennt man dann auch, dass es Harlander nie um einen Klimathriller gegangen ist, sondern dass er das populäre Thema lediglich kapert, um seine Nonsens-Geschichte von Ökoterroristen zu vermarkten. Ich habe noch nie so einen Murks gelesen. Da passt wirklich gar nichts. Harlander hat sich nicht die geringste Mühe gegeben die Motive oder Hintergründe der Protagonisten irgendwie plausibel zu machen. Er schreibt zwar was dazu, aber es wirkt so als hätte Harlander auf Youtube recherchiert.
Tiefgang und Glaubwürdigkeit – Fehlanzeige. Da der Terrorismus aber den Hauptteil der Hintergrundstory einnimmt, muss da einfach mehr kommen. Die Dialoge sind weltfremd und zum Fremdschämen. So stellt sich ein alter weißer Mann also Ökoterroristen vor? Und während die Massenmörder, obwohl die wohl effektivsten Terroristen in der Geschichte der Menschheit, komplett blass bleiben, sind auch diese wiederum nur ein Deckmantel, für die blödest-mögliche Kalter Krieg Story, die mir jemals untergekommen ist. Zumindest jenseits von albernen Agententhrillern aus den 1980ern.
42 Grad Fieberwahn?
Zu fast jedem einzelnen Aspekt könnte man was schreiben. Harlanders Vorstellung vom Darknet sind schon sehr speziell, um nicht zu sagen, er hat davon keine Ahnung. Dafür hat aber seine IT-Spezialistin im Roman von allem Ahnung und kann auch alles. McGyver wäre vor Neid erblasst. Was wiederum zeigt, dass er auch keine Ahnung von IT hat. Oder er will einfach so einen billigen stereotypen Roman schreiben – vermutete Massentauglichkeit? Die „militante Szene“ der Umweltaktivisten wirkt wie ein von einem Bild-Redakteur erdachter Abklatsch der RAF: „Die militante Szene war eine überschaubare Gruppe, man kannte sich.“ Aua. Der konspirativste Teil einer weit verzweigten Szene kennt sich also untereinander. Ein Fest für verdeckte Ermittler.
Nicht genug: Eine der meistgesuchten Frauen Europas versteckt sich nicht, sondern geht auf eine Konferenz auf der auch die Polizei ist. Klar. Dort trifft sie dann ihre Bekannten. Klar. Die warnen sie jedoch nicht vor der Polizei, sondern halten erstmal einen Plausch. Klar, wie Kloßbrühe. Baut man so Spannung auf oder ignoriert man einfach, dass man heute so nicht mehr schreiben kann. Das beleidigt doch den Intellekt der Leser*innen. Steigerung gefällig? Die Terroristen wollen so viele Menschen wie möglich töten. Warum? Ja, für die Aufmerksamkeit auf die kapitalistische Verwertbarkeit von Wasser. Ah, ja. Aber die sterben doch sowieso grade alle wegen der Hitze und austrocknender Flüsse und Seen. Ja und? Lass doch mal die Logik weg. Und warum überhaupt töten? Das sind halt Fanatiker. Kennt man doch.
Die Nebenstränge der Geschichte und die weiteren Protagonist*innen sind generisch und komplett überflüssig. Ob die ein oder andere Person im Roman auftaucht oder nicht, spielt für die Geschichte nicht die geringste Rolle. Die sind halt einfach da und machen so Sachen, die man halt so macht, wenn die Welt untergeht. Dümmlich durch die Gegend laufen und das Naheliegendste als Letztes ausprobieren. Der Spannung wegen, you know? Einzige Ausnahme ist der THW-Freiwillige, der zwar auch reich an unsinnigen Handlungen ist – das Ende, mein Gott – dafür aber wenigstens die einzige Person mit Identifikationspotenzial.
Meine Lieblingsstelle ist aber die Identifizierung des obersten Bösewichts. Ich will ja nicht spoilern, aber wer es bis dahin schafft und entweder einen Lachkrampf bekommt, so wie ich, oder ungläubig staunend verstummt, was mir danach passierte, weiß welche Stelle ich meine. Wirklich jetzt? Die Szene mit Tarassow kann nicht ernst gemeint sein. Das geht nicht. Das würde sich nicht mal ein Low-Budget C-Movie erlauben. So kann man heute keine Geschichten mehr erzählen. Das Logikloch ist größer als die Bleilochtalsperre, die fälschlicherweise zum größten Trinkwasserreservoir Deutschlands gemacht wird, was wiederum der Bodensee ist.
Ohne Anspruch – ohne mich
Wenn das gerade noch irgendwie Trash Unterhaltungswert hatte, dann wird es gen Ende immer geistloser. Die Handlungen sind lächerlich, nicht im Ansatz nachvollziehbar und erinnern an die Handlunsglogik aus 90er Jahre Teenie-Horrorfilmen. Geh da nicht rein – ok – geht rein. Unlustigerweise endet das Buch dann auch noch mit einem Appell für extralegale Hinrichtungen.
Den Plot hätte sich so auch ein US-Hardliner der Tea-Party-Bewegung ausdenken können. Keine Ahnung, wie so ein Manuskript es bis zur Veröffentlichung durch Rohwolt geschafft hat. Und wenn daraus angeblich gerade ein Film gemacht wird, sehen wir den dann als Mehrteiler auf RTL 2?

Katastrophenthriller
rororo
30.06.2020
Paperback
528
https://www.rowohlt.de/paperback/wolf-harlander-42-grad.html
15,00 €
978-3-499-00046-1

Ist das Kunst oder kann das weg?
Hallo,
ich schreibe auf meinem Blog auch nur selten wirkliche Verrisse, aber hier juckt es mich schon beim Lesen der Rezension in den Fingern.
Ich vermute, dass ich dabei gerade hundertmal mehr Spaß hatte, als ich ihn beim Lesen des Buches gehabt hätte. Mindestens. (Danke dafür.) Klingt so, als hätte der Autor alles abgehakt, was mir übelst gegen den Strich geht!
Sollte das beim nächsten Treffen unseres Krimi-Lesekreises jemand als nächste gemeinsame Lektüre vorschlagen (was passieren könnte, weil Rowohlt), weiß ich ja, dass ich alles tun sollte, um das zu verhindern.
LG,
Mikka