Cover Wider die kalte Vernunft
Sachbuch:
Arno Gruen
Preis:
12 €

Rezension von:
Bewertung:
3
26. März 2017
Letzte Änderung:18. November 2017

Es gibt sinnvolleres von Arno Gruen!

Wider die kalte Vernunft

Das Essay Wider die kalte Vernunft basiert auf einem wissenschaftlichen Beitrag der 2005 im Jahrbuch für Psychodynamische Forschung erschienen ist. Diese wissenschaftliche Grundierung merkt man dem Büchlein, entgegen anderer Werke von Arno Gruen, auch schmerzlich an. Sind doch die meisten Bücher von Gruen explizit an alle Interessierten gerichtet und eben nicht an ein exklusives akademisches Publikum. Zwar wurde der Beitrag für den Band überarbeitet und erweitert, der Grundton bleibt aber dennoch bestehen.

Wissenschaftlich ist der Essay allerdings auch nicht besonders überzeugend. Den Aspekt, dass die Vernunft in der herrschenden Kultur völlig überhöht ist, und dass Gefühle eine weitaus wichtigere Rolle im Leben der Menschen spielen, haben andere Autoren wesentlich treffender und vor allem wissenschaftlich basierter beschrieben, allen voran sicherlich Antonio Damasio oder auch Gerhard Roth, sowie zahlreiche weitere Neurowissenschaftler oder Emotionssoziologen. Das Thema ist eben alles andere als neu. Auch Gruen hat in seinen zahlreichen Werken immer wieder auf diesen Zusammenhang hingewiesen.

Die Grenzen der Gruenschen Psychoanalyse

Die Gegenbeispiele des Neandertalers, die er anführt, sind auch eher populärwissenschaftlich, denn evidenzbasiert. „Wir können davon ausgehen, dass der Neandertaler aufgrund seines stärker ausgebildeten Sicherheitsgefühls mit Belastungen und Stress anders umging als der heutige Mensch.“ Das grenzt schon ans Absurde, denn auch der Mensch vor 10.000 Jahren ist sicherlich anders mit Belastungen umgegangen als der heutige Mensch, ganz abgesehen davon, dass der Satz nichts weiter als eine unwiderlegbare Behauptung ist. Die monokausale Rückführung auf die gestörte Mutter-Kind-Beziehung ist mindestens unterkomplex.

Auch sind Gruens neurowissenschaftliche Anmerkungen nicht gerade auf der Höhe der Zeit, ebenso wie seine sprachwissenschaftlichen Thesen, die auf Whorf rekurrieren. Die Grenzen Gruens Theorie werden besonders deutlich, wenn er auf die Grausamkeit der Spezialeinheit der Green Berets in Vietnam zu sprechen kommt. So sei herausgefunden worden, dass „die Soldaten dieser Einheit von ihren Vätern und Müttern keine Geborgenheit und Wärme erlebt hatten“. Was auch immer alles eine Rolle bei entgrenzter Gewalt in Kriegen spielt, dieser Ansatz erklärt gar nichts. Da empfiehlt es sich eher, bei Harald Welzers Täter nachzulesen.

Das Anliegen Gruens ist dabei aber dennoch vollkommen richtig. „Es geht im Grunde um die Verdrängung der empathischen Wahrnehmung durch die Überbewertung des kognitiven und abstrakten Denkens.“ Deshalb finden sich natürlich auch in diesem Essay einige wichtige und interessante Gedankengänge. Wer allerdings schon viel von Gruen kennt, wird hier nichts Neues finden. Wer noch gar nichts von Gruen kennt, greift besser zu „Wider den Gehorsam“ oder „Der Wahnsinn der Normalität“. Und wer seine Gruen-Bibliothek vervollständigen möchte oder alte Gedanken auffrischen, der ist hiermit natürlich auch gut beraten.

Mehr Informationen inklusive Leseprobe bei Klett-Cotta.

Arno Gruen
Wider die kalte Vernunft
2. Druckaufl. 2016
141 Seiten
Klappenbroschur
Verlag: Klett-Cotta
Preis: 12 €
ISBN: 978-3-608-94903-2