Sachbuch:
Arno Gruen
Preis:
12,00 €

Rezension von:
Bewertung:
5
18. Januar 2017
Letzte Änderung:18. November 2017

Zeitlos aktuell - Unbedingt empfehlenswert!

Gehorsam „ist der Zement, der die Menschen an Autoritätssysteme bindet und ein tiefwurzelndes Verhalten erzeugt, das ethisches Empfinden und Mitgefühl zunichtemacht.“ Das neue, kleine Buch „Wider den Gehorsam“ des Psychoanalytikers Arno Gruen kann helfen, vieles von dem was aktuell geschieht, besser zu verstehen. Da das Buch aus einem Vortrag aus dem Jahr 2002 hervorgegangen ist, zeigt sich schon die, obwohl hochaktuell, zeitlose Diagnose von einem der letzten großen Theoretiker der menschlichen Psychen.

Der Vortrag „Über den Gehorsam“ ist in das Essay eingegangen, geht aber darüber hinaus und wartet mit scharfsinnigen und leicht verständlichen Analysen auf.

„Die Kehrseite jeder Treue ist Gehorsam. Umgekehrt impliziert jeder Gehorsam Treue. Menschen halten sich für treu, aber deswegen nicht für gehorsam, weil sie sich – aus freier Wahl – als treu empfinden und erleben. Aber indem man Treue als einen moralischen Wert empfindet, den man selbst wählt, verhüllt man jenen Gehorsam, der der Identifikation mit den Mächtigen dient. Beide, Treue und Gehorsam, wurzeln in der Autorität, wodurch freiwillige Knechtschaft zum moralischen Wert und zu einer bewundernswerten menschlichen Qualität erhoben wird.“

Wer unhinterfragbare Bündnistreue einfordert, wer Treue zum Nationalstaat oder auch nur blinde Verfassungstreue einfordert, verlangt nichts anderes als Gehorsam und Unterwürfigkeit. Ein demokratischer Rechtsstaat muss den Widerspruch geradezu provozieren, um daran wachsen zu können. Ziviler Ungehorsam und das Infragestellen alter Gewissheiten sollten selbstverständliche Bürgerpflicht sein.

Zu beobachten ist jedoch vielfach das Gegenteil. Es werden Untertanen eingefordert. Gesellschaftliche Diskurse werden nicht geführt. Es gibt lediglich den Anschein von Diskursen. Simulierte Diskurse. Leitartikler der großen Medien werfen sich die immer gleichen Argumente wie in einem Ping Pong Spiel zu. Es gibt keinen gedanklichen Ungehorsam. Kein Widerstreben. Keinen kritischen Diskurs. Alle sind sich einig. Und in dieser Parallelwelt glauben sich Meinungsführer besonders pluralistisch, wenn man statt Bomben Sanktionen fordert.

„Die Basis unserer ‚Hochkultur’ ist das Bestreben, die Welt im Griff zu haben, sie zu besitzen, zu beherrschen und gleichzeitig für Mechanismen zu sorgen, die eine Verleugnung und Verschleierung dieser Motivation bewirken. Diese Verschleierung basiert auf dem Motto: Wir verfügen über dich, weil es zu deinem Besten ist.“

Einige Menschen rebellieren jedoch gegen den Gehorsam und kämpfen gegen die dadurch bedingte Entfremdung an. „Das führt dazu, dass sie von anderen als Außenseiter, als Nestbeschmutzer, sogar als Verräter an der gemeinschaftlichen Sache bezeichnet werden.“

Wem das bekannt vorkommt, sollte unbedingt zu dem kleinen Buch “Wider den Gehorsam” von Arno Gruen greifen. Wem das alles zu psychologisierend ist, der darf auch drauf verzichten.

„Gehorsam ist destruktiv. Gehorsam grenzt das Denken ein und verneint die Realität.“

 

Arno gruen
Wider den Gehorsam
Taschenbuch (18. Dezember 2015)
Verlag: Klett-Cotta
Auflage: 8
2015, 97 Seiten
ISBN: 978-3-608-94891-2