Sachbuch:
Anne Wizorek
Preis:
14,99 €

Rezension von:
Bewertung:
5
24. Januar 2017
Letzte Änderung:18. November 2017

Weil ein (!) Aufschrei nicht reicht!

Weil ein Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute.

Anne Wizorek hat auf Twitter mit dem Hashtag Aufschrei für eine gesellschaftliche Debatte über Sexismus beigetragen. Es ist eine längst überfällige und notwendige Debatte. Es geht nicht nur um sexistische Ausfälle einzelner Männer, sondern es geht um den strukturellen Sexismus und die von vielen Männern wie Frauen kaum noch bewusst wahrgenommenen Ungleichheiten. Anne Wizorek hat mit „Weil ein Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute.“ ein Buch vorgelegt, dass vor allem jüngeren Frauen (aber natürlich nicht nur) dabei helfen soll, ihre Erfahrungen verbalisierbar zu machen.

Sprache ist die Welt, wie Menschen sie erfahren und deswegen ist es notwendig, die eigenen Gefühle der Unterdrückung, Ausbeutung, Verdinglichung, Demütigung und der Angst kommunizierbar zu machen. Der erste Schritt zur Veränderung ist die Bewusstmachung, dass die erlebten Geschehnisse kein individuelles Problem, kein Anzeiger einer irgendwie gearteten Unzulänglichkeit, sondern ein gesellschaftliches Problem sind.

Anne Wizorek steht dabei für einen neuen Feminismus. Wobei das Label „neu“ auch immer etwas von PR hat und weniger den Tatsachen geschuldet ist. Entscheidender ist, dass es ihr darum geht, dass man keinen „Master in Gender Wissenschaften“ haben muss und man auch nicht alle Ikonen der feministischen Theorie und Literatur gelesen haben muss.

„Natürlich interessiert es mich trotzdem, was diese anderen Autor_innen zu sagen haben, und wer sich erst mal in bestimmten Debatten eigefuchst hat, fängt unweigerlich auch an, weitere Literatur (alt wie neu) dazu zu lesen. Aber die Botschaft bleibt: Du kannst und musst nicht alles wissen, um mit dem Feminismus anfangen zu können. Es gibt kein feministisches Abitur, das du ablegen musst, um dich einzubringen – aber gerade im Netz gibt es viele großartige Ressourcen, um zumindest die wichtigsten grundlegenden Fragen schon mal vorab zu klären.“

Und genau hier liegt auch die Stärke des Buches. Wer sich schon immer mit Feminismus auseinandergesetzt hat, wird dieses Buch kaum benötigen. Wer sich mit den klassischen Theorien des Feminismus, der Intersektionalität oder anderer Ungleichheitstheorien beschäftigt hat, wird hier kaum Neues entdecken. Aber darum geht es Wizorek ja auch gerade nicht. Es ist ein Mutbuch zum Mitmachen, die Aufforderung sich dem alltäglichen Sexismus entgegen zu stellen. Transportiert wird diese Botschaft durch einen großen Teil biografischer Erzählung. Gerade zum Ende hin wird der Bezug auf die Aktion #Aufschrei allerdings öfter redundant, um nicht zu sagen: es wiederholt sich. Das Grundanliegen mag dies jedoch nicht zu trüben. Wizoreks Sprache ist dabei wie bei so vielen Bloggern und Social Media Aktiven jung und locker. Gefällt wieder mal nicht jedem, ich finde es in diesem Zusammenhang unterhaltsam und kurzweilig.

Und Wizorek liefert die Begründung für die Notwendigkeit ihres Buches auch gleich mit:

Jede Frau, die im Netz über feministische Themen schreibt, erfährt ziemlich schnell, was es heißt, auf diese Weise sichtbar zu sein. Oder wie die britische Journalistin Helen Lewis es formuliert: „The comments on my article about femnism justify feminism. That is Lewis’s Law.“ Und als es hätte den Beleg für das Lewissche Gesetz überhaupt benötigt, hat sich die wahre Männergemeinschaft bei den Amazonbewertungen große Mühe gegeben.

Die Bewertungen von Anne Wizoreks Buch bei Amazon zeigen vor allem eines: wie aktiv, vernetzt und wütend, teils von Hass zerfressen, diese chauvinistische, essenzialistische Männerrechtsbewegung ist. Was ist nur mit diesen armen Männern los? Kein Krieg gerade zur Hand bei dem Mann sich beweisen kann? Dieses larmoyante, reaktionäre Gehabe ist Beweis genug, dass Wizoreks Anliegen wichtig und richtig ist. Eine Welt in der Männer ihre „natürlichen Vorrechte“, ihre „Gewaltherrschaft“ ausleben wollen, weil, ja weil… ist halt so. Gott oder „die Natur“ haben das halt so gewollt. Männer sind schließlich auch irgendwie stärker und klüger und haben ein größeres Gehirn… ach ja und natürlich eine Rippe weniger.

Der Fundamentalismus der Maskulisten trifft sich mit dem Fundamentalismus der Islamisten. Rückwärtsgewandte Modernisierungsverlierer könnte man meinen. So einfach ist es aber leider nicht. Es sind Überzeugungstäter. Die Nähe der Maskulisten zu reaktionären Religionskriegern und zur rechtsradikalen Szene überrascht deshalb weniger. Antifeminismus geht häufig einher mit Rassismus, Klassismus und allen Spielarten der Menschenfeindlichkeit und des Chauvinismus.

Natürlich wissen das die Frauenfeinde auch. Deshalb ist ihr Abwehrkampf auch so rabiat. Es handelt sich um gesellschaftliche Auf- und Abstiegskämpfe. Der Machtgewinn von Frauen, den sich Generationen von Frauen hart erkämpft haben, bedeutet für radikale chauvinistische Männer Machtverlust. Sie erleben ihre Identität als Patriarch nicht nur in Frage gestellt, sondern sie fühlen sich als Mann abgewertet und in ihrer Persönlichkeit angegriffen. Anstatt sich nun bei ihren Vätern und Väters Vätern zu beschweren, ob der frauenfeindlichen Erziehung, richten sie ihren Selbsthass auf andere. Vor allem auf Frauen. Nun könnte man mit der analytischen Sozialpsychologie noch einiges zum Charakter und zur Genese dieses Hasses schreiben, an dieser Stelle verweise ich aber lediglich auf einen Vortrag des Sozialpsychologen Rolf Pohl:

Die männliche Subjektkonstitution: Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen

Weiterführende Informationen:
http://www.annewizorek.de/
http://kleinerdrei.org/

 

Anne Wizorek
Weil ein Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute.
Sachbuch
336 Seiten, Klappenbroschur
FISCHER Taschenbuch
ISBN 978-3-596-03066-8
Preis € 14,99