Drohnenland
Tom Hillenbrand ist bisher an mir vollkommen vorbeigegangen. Was natürlich vor allem daran liegt, dass ich keine Kriminalromane mag. Der tausendste Aufguss, der immer gleichen Geschichte mit geringen Variationen der Charaktere, der Ermittlungsmethoden, des Settings oder auch einfach nur der Mordarten. Bei Hillenbrand kommt noch hinzu, dass er seine Krimis im Gourmetbereich angesiedelt hatte. Naja. Nun erscheint aber im Februar Hologrammatica, welches mir bereits wärmstens ans Herz gelegt wurde. Und da ich von Autoren, so sie mich denn nicht vollkommen enttäuschen, gerne mehrere Bücher lese, um mir eine fundiertere Meinung bilden zu können, lag es nahe, seinen Bestseller Drohnenland zu lesen. Hinzu kommt, wie schon bei Ödön von Horváths Jugend ohne Gott, dass ich in einem Forum immer wieder auf das Werk eindringlich hingewiesen wurde.
Und um es gleich vorweg zu sagen, Drohnenland ist ein Kriminalroman mit einem dystopischen Science Fiction Setting. Und gäbe es dieses Setting nicht, hätte sich mein Urteil lediglich verstärkt. Tatsächlich hat Hillenbrand aber eine Welt erschaffen, die die Geschichte in den Hintergrund zu schieben vermag. Der Plot ist nicht besonders tiefgründig. Es gibt einen Mord, es stellt sich heraus, dass dieser Teil einer Serie ist. Die Ermittlungen führen nicht zu einem Täter, sondern zu einer Verschwörung die aus dem Jäger den Gejagten werden lässt. Klingt bekannt. Dazu kommen noch die stereotypen Charaktere. Der Ermittler, der aus der Zeit gefallen scheint, dem die eigene Vergangenheit zu schaffen macht. Und natürlich die sexy Partnerin – die Zeiten eines Dr. Watson sind vorbei. Eigentlich Grund genug, den Roman sofort beiseite zu legen. Aber ich will die Geschichte auch gar nicht zu flach schreiben, denn sie wirkt im Zusammenhang mit Hillenbrands Zukunftsvision, von Anfang an absolut fesselnd.
Die Zukunft wird es richten
Die größte Leistung von Hillenbrand ist, dass er sich nicht in endlosen Beschreibungen ergeht, sondern dass die Welt sich nach und nach, geradezu beiläufig erschließt. Manches ist einem beim Lesen nicht sofort klar, weil es an Erläuterungen fehlt. Hillenbrand behandelt seine LeserInnen wie Wissende, als seien sie Teil des Zukunftsszenarios und wüssten über gesellschaftliche Zusammenhänge und technische Gadgets Bescheid. Das wirkt kurz verwirrend, entfaltet aber ebenso einen Sog. Man wird in die Dystopie hineingezogen. Man bewegt sich auf dem gleichen Niveau wie der Ermittler, der ja ebenfalls anachronistisch wirkt, mit seiner Vorliebe für Humphrey Bogart Filme.
Hillenbrand denkt gegenwärtige Entwicklungen konsequent düster 40, 50 Jahre voraus. Und wie das bei Zukunftsszenarien so ist, wird natürlich manches von der Gegenwart lange vorher eingeholt. So ist ein wichtiger Aspekt des Romans der anstehende Brexit und die damit verbundene Verfassungsänderung der EU. Nun gut.
Die EU ist zusammen mit China und Brasilien der dominierende Global Player. Die USA spielen keine Rolle mehr. Der Nahe Osten ist in einem Atomkrieg untergegangen. In Nordafrika toben Kriege und Terroraktionen, da die EU hier quasi neue Kolonien errichtet hat. Portugal ist mit seinen Wellengeneratoren zum wichtigsten Energielieferanten und damit reichstem EU-Land geworden. Die Niederlande sind Sumpfgebiet, weil sie ebenso wie Hamburg und andere Küstengebiete im Meer versunken sind. Der Klimawandel machts möglich.
Wer nichts getan hat, hat nichts zu befürchten
Die Bürger tragen weitestgehend „Specs“, Brillen mit Minikameras, die mit Augmented Reality für ein noch besseres Konsum- und Socialmediaverhalten sorgen. Drohnen jeglicher Größen kreisen über und um die Menschen. Millionen Kameras an öffentlichen wie privaten Orten sorgen für die absolute Überwachung und Kontrolle. Die Ermittler von Europol müssen auch keine gewöhnliche Tatortarbeit mehr erledigen. Vielmehr wird aus allen verfügbaren Aufnahmen ein virtueller Raum erzeugt, in dem sich die Ermittler bewegen können. Herzstück ist allerdings die nur dem Geheimdienst zugängliche virtuelle Liverealität. Hier können sich die Agenten als „Ghost“ direkt neben die zu Bespitzelnden setzen ohne dass diese es merken oder auch nur ahnen. Möglich gemacht wird dies durch Superrechner und mückengroße Drohnenkameras, die jede beliebige Situation live streamen und somit virtuell nachbaubar gestalten lassen.
Der Traum eines jeden autoritären Charakters und der Albtraum eines jeden Bürgers. Und während die Protagonisten munter ermitteln, kommt es wie es kommen muss. Wer sich auf digitale Daten als Beweismittel verlässt, wird sich früher oder später die Frage nach der Manipulierbarkeit solcher Daten stellen müssen.
Technikfolgenabschätzung, Totalüberwachung, Prädiktion, Inhaftierung noch bevor man überhaupt etwas getan hat oder sogar selbst daran gedacht hat – kurz unschuldig ist; all das verwebt Hillenbrand zu einem äußerst kurzweiligen und intensiven Lesegenuss. Gewisse Parallelen zu Daniel Suarez kann man durchaus ziehen. Während Suarez noch mehr mit abgefahrenen Technik- und Zukunftsideen zu faszinieren weiß, ist Hillenbrand der klar bessere Kriminalgeschichtenerzähler. Und bei der Flachheit der Charaktere sind beide gleichauf.
Denn hier liegt auch der größte Kritikpunkt an Drohnenland. Die schlichten, stereotypen Charaktere mit einem ordentlichen Schuss peinlichem Sex und Sexismus. „Ich kann den dunklen Hof ihrer Brustwarze sehen und merke, wie mein Penis sich zu versteifen beginnt.“ Aua. Oder den sprachlichen Fehlgriffen wie: „Wieder andere heulen wie persische Klageweiber nach der Bombardierung Teherans.“ Soll das witzig sein? Die Bombardierung einer Millionenstadt als lustiges Sprachspiel? Bei solch platten Sätzen, fühlt man sich eher im Groschenroman als in der gehobenen Unterhaltungsliteratur. Seis drum. Insgesamt ist Drohnenland äußerst spannend mit einem grandiosen und außergewöhnlichen Setting. Drohnenland macht Spaß und hat das Potenzial zum Nachdenken anzuregen.
Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei kiwi.
Drohnenland
Tom Hillenbrand
Taschenbuch
Broschur
432 Seiten
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Preis: 9,99 €
ISBN: 978-3-462-04662-5