Cover_Abenteuer_Wissenschaft

Abenteuer Wissenschaft

Die großen Expeditionen und Forschungsreisen haben mich schon immer fasziniert. Aufgewachsen mit den Geschichten von Scott und Amundsen, Nannsen und Shackleton und den weniger exponierten aber nicht minder spannenden Forschungsreisen meines Opas, der als Geodät den nahen Harz oder das „ferne“ ehemalige Jugoslawien bereiste und kartierte. Die großen und kleinen Entdecker, die berühmten und die alltäglichen Wissenschaftler und Abenteurer sind Teil meiner kindlichen Heldenerinnerungen. Dabei sind Tim und Struppi oder Indiana Jones natürlich die popkulturellen Referenzen. Und immer wenn neue oder neu entdeckte alte Expeditionsberichte veröffentlicht werden, werfe ich gerne einen Blick hinein. Im Newsletter von Vandenheock und Ruprecht wurde kürzlich das Wissenschaftsbuch des Jahres in Österreich (Rubrik Naturwissenschaft) „Abenteuer Wissenschaft“ von Thomas Hofmann präsentiert. Und der Ankündigungstext hat es mir sofort angetan.

„Der Alltag von Naturforschern, ob auf hoher See, im Polarmeer oder im Hindukusch, ist reich an unerwarteten Erlebnissen und Gefahren. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der emotionalen, der menschlichen Seite der Forscher, bei ihrer Suche nach neuen Erkenntnissen.“

Zwischen Alpen, Orient und Polarmeer

Afghanistan-Expedition, Weltumseglung, Fahrt mit dem Stratosphärenballon, Bohrfahrten im Mittelmeer oder Polarforschung. Thomas Hofmann hat großartig recherchiert. In Tagebüchern und Briefen ist er fündig geworden, persönliche Gespräche haben Nachlässe abgerundet, Biografien und unveröffentlichtes Archivmaterial eröffnen Einblicke in den oft überraschend harten Alltag von Wissenschaftlern.

„Was erleben Naturforscher bei ihrer Arbeit vor Ort? Wie geht es Geologen, Geographen und Geodäten in den Bergen Afghanistans oder im Karakorum? Streikende Sherpas im Himalaya, reißende Gebirgsbäche, schlechte Straßen und Schwierigkeiten mit lokalen Behörden sind Überraschungen, die es immer gab, und stets aufs Neue zu bewältigen sind.“

Allerdings täuscht die Ankündigung auch nicht ganz unerheblich. Denn alles ist aus der doch eingeschränkten österreichischen Perspektive geschrieben. Vornehmlich handelt es sich auch um Erdkundliche Forschungen. Das liegt bei Hofmann als Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologischen Bundesanstalt in Wien zwar nahe, wird aber nirgends deutlich herausgestellt. Insofern war ich schon recht enttäuscht, ganz wesentliche Expeditionen nicht einmal erwähnt zu finden. Sei’s drum. Das Buch enthält trotzdem spannende und unterhaltsame „Abenteuer Wissenschaft“.

Alltag Feldforschung

„Wer wissen will, wie Wissenschaft ‚funktioniert‘, wie Forschungsalltag in der unwegsamen Natur, auf hoher See, einsamen Inseln oder in Polarregionen abseits von Labors und Büroräumen aussieht, ist hier richtig“, so Hofmann. Und das ist auch die Stärke des Buches. Der Alltag jenseits glorifizierender oder romantisierender Erzählungen tritt in den Vordergrund. Allerdings und hier das zweite Manko, scheint sich die Beschreibung des Alltags auch in Sprache und Schreibstil Hofmanns eingeschlichen zu haben. Es ist ein Plauderton, der oftmals eher an akademischen Stammtisch erinnert, denn an Sachbuch. Was sich vor allem in unzähligen launischen Anekdoten äußert, die nichts, aber auch wirklich gar nichts mit dem Thema zu tun haben und äußerst assoziativ daherkommen.

Das alles wäre aber immer noch kein Grund, das Buch nicht großartig zu finden, zumal die Aufmachung regelrecht bibliophil ausfällt und mit den zahlreichen Fotos auch wunderbar illustriert ist. Wäre da nicht die äußerst konservative und teils relativistische Sicht auf die Welt. Bei ehemaligen Nationalsozialisten wird die Bewertung der Mitgliedschaft in der NSDAP zur Seite geschoben, weil es ja um die wissenschaftliche Leistung geht. Das mag bei Parteizugehörigkeit noch funktionieren, bei gleichzeitigem frühem Eintritt in die SA, der absichtlich unerwähnt bleibt, liegt Unredlichkeit allerdings schon nahe. Auch der oft koloniale, rassistische und teils sexistische Blick bleibt unerwähnt und bemerkt nur die pejorative Bedeutung des Begriffs „Neger“, während die rassigen Schönheiten schon noch irgendwie in Ordnung sind. Entsprechend stört sich Hofmann auch nicht am Nationalstolz, im Gegenteil erfreut er sich an selbigem, wenn österreichisches Mehl ehedem einen guten Ruf genoss. „Ehrlich, da kommt nach fast 150 Jahren noch Nationalstolz auf.“ Ach Österreich. Man möchte meinen Wissenschaft sei international und durchbreche die nationale Kleingeistigkeit. Offenbar weit gefehlt.

Getrübter Genuss

Da sich diese Kritiklosigkeit durch das gesamte Buch zieht, trübt es die ansonsten wirklich interessanten Erzählungen zu Expeditionen und den Gedanken und Empfindungen der Wissenschaftler. Und ja man kann wissenschaftliche Leistungen auch würdigen, wenn sie in einem problematischen Zusammenhang stehen. Dann muss man diesen nur entsprechend berücksichtigen und kritisch einordnen. Das hätte dem Buch und seinem Gegenstand gut getan.

 

Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Vandenhoeck und Ruprecht.

 

Abenteuer Wissenschaft - Forschungsreisende zwischen Alpen, Orient und Polarmeer Book Cover Abenteuer Wissenschaft - Forschungsreisende zwischen Alpen, Orient und Polarmeer
Thomas Hofmann
Sachbuch
Böhlau Verlag Wien
2020
Hardcover, Illustrationen
287 Seiten, mit 190 farb. Abb.
https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/themen-entdecken/geschichte/sozial-und-kulturgeschichte/55526/abenteuer-wissenschaft
35,00 €
978-3-205-21104-4

Ambivalentes Lesevergnügen.