Zehn Theorien zur Natur des Menschen
Seit sieben Jahren steht das Buch „Zehn Theorien zur Natur des Menschen“ von Leslie Stevenson und David L. Haberman in meinem Bücherregal und wartet darauf gelesen zu werden. Endlich habe ich es geschafft. Leider ist es ein eher durchwachsenes Leseerlebnis gewesen. Mit der Natur des Menschen beschäftige ich mich seit über 20 Jahren. Ein realitätsangemessenes Menschenbild zu entwickeln, war nicht zuletzt Schwerpunkt meines Studiums und meiner Diplomarbeit. Deswegen ist mein Interesse an der conditio humana auch weiterhin ungebrochen. Sich mit Konfuzianismus, Hinduismus, der Bibel, Platon, Aristoteles, Kant, Marx, Freud, Sartre und Evolutionstheorien zu beschäftigen, in einem natürlich knappen Abriss, versprach einen interessanten Ein- und Überblick zu gewähren. Was ich allerdings nicht berücksichtig hatte, steht auf der Rückseite des Buches: „Die etwas andere Einführung in die Philosophie.“Inwiefern das jetzt eine andere Einführung als sonst ist, vermag ich nicht zu beantworten. Auf mich wirkt sie erst mal ziemlich gewöhnlich. Die Artikel zum Konfuzianismus und Hinduismus sind sehr interessant. Diese beiden stammen von Haberman, die restlichen Artikel von Stevenson. Und da liegt auch ein gutes Stück weit die Krux der Einführung. Haberman ist Experte für Religionen und schreibt eine leicht verständliche und lesenswerte Einführung in sein Spezialgebiet. Stevenson hingegen geriert sich nicht nur als Experte der unzähligen Philosophien, sondern auch noch für Soziologie, Psychologie und Evolutionstheorie. Dabei wird sehr schnell klar, dass die Tiefe seiner Ausführungen kaum über das Niveau und die Qualität der Wikipedia hinausgehen. Zumindest bei Marx und Freud, die ich nun ausgiebig studiert habe, kann ich sagen, dass sein Wissen doch arg beschränkt ist und dadurch seine Ausführungen teils bedenklich vereinfacht sind.
Nicht alles wird im Alter besser
Auch geht es im Wesentlichen gar nicht um die Natur des Menschen, sondern um die jeweiligen Weltanschauungen. Allen Weltanschauungen liegt natürlich ein Menschenbild zugrunde. Häufig sind diese lediglich implizit, weshalb es Aufgabe solch einer Einführung wäre, die Menschenbilder zu explizieren, sie in Gänze darzustellen, um eben die besonderen Gedanken zur Natur des Menschen nachvollziehbar zu machen. Das findet hier aber nur rudimentär statt. Dafür wird auf alle möglichen Gedanken eingegangen, die mehr oder weniger zentral für das jeweilige Gedankenkonstrukt sind. Dabei ist die Auswahl der hervorgehobenen Ideen nicht immer nachvollziehbar.
Als größtes Manko erweist sich aber schlichtweg das Alter des Buches. Ursprünglich 1974 geschrieben, sind viele Abschnitte heute so nicht mehr haltbar und höchstens noch als wissenschaftliche Entwicklungsgeschichte zu lesen. Da wird das Unbewusste von Freud als Hypothese dargestellt, was selbst in den 70ern schon eine ziemliche Mindermeinung gewesen sein dürfte. Aber diese spezifisch US-amerikanische Sicht durchzieht das Buch. Die Soziobiologie Edward Wilsons wird überprominent dargestellt, dabei ist sie im wissenschaftliche Diskurs vollkommen unbedeutend. Stevenson schreibt zwar im Vorwort zur Neuauflage von 2003 er habe die Kapitel überarbeitet, aber dann muss man sich schon fragen, was stand denn da vorher? In Gänze ist es also eine eher durchwachsene Einführung und man bekommt sicherlich bessere und aktuellere auf dem Buchmarkt.
Erschreckende Erkenntnis bleibt allerdings mal wieder, dass in Jahrhunderten der Menschheitsentwicklung nur die Technik voranschreitet und das soziale wie psychische Mangelwesen Mensch seit eh und je unterentwickelt bleibt, sein Potenzial zur Menschlichkeit verkümmern lässt und durch Macht- und Profitstreben der Mensch dem Menschen Wolf sein will.

Sachbuch
J.B. Metzler
2008
296
Nikolaus de Palézieux
14,99 €
978-3-476-02282-0

Mittelprächtige und nicht mehr allzu aktuelle Einführung