Captain Paul Watson: Interview

Deutschland hat eine geringe Festlandküste von gerade einmal 1.200 Kilometern. Die norddeutschen Städte und Inseln haben zwar noch eine direkte Beziehung zum Meer, aber je weiter man in den Süden des Landes kommt, desto weniger Berührungspunkte haben die Menschen mit dem täglichen Leben am und vor allem im Meer. Der Fischkonsum wächst weltweit an und die Meere, auch Nord- und Ostsee, sind überfischt. Klimakatastrophe, Raubfischerei, Umweltverschmutzung und absurde Fangquoten, die nur die Industrie schützen, aber nicht die Fische, zerstören unsere Lebensgrundlage, das Meer. Nicht nur, dass alles Leben aus dem Meer kam, es ist auch weiterhin darauf angewiesen, unter anderem durch die wichtige CO2 bindende Funktion. Und obwohl wir ohne gesunde Meere nicht leben können, ist das Interesse zum Schutz der Ozeane in Deutschland besonders schlecht ausgeprägt. Der Interviewband mit „Captain Paul Watson“ von Sarah Schuster und Michele Sciurba kann hier einen niedrigschwelligen Einstieg ins Thema bieten.

Die beiden Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen Schuster und Sciurba haben mit Paul Watson, den Gründer von Sea Sheperd, zwei Interviews geführt. Der Interviewband mit dem Untertitel „Wenn die Meere sterben, sterben wir alle.“ muss dabei allerdings als Teil der medialen Kampagne von Sea Sheperd verstanden werden. Dagegen ist bei diesem Thema aus meiner Sicht auch nichts einzuwenden, man muss sich dessen nur vorher bewusst sein. Denn kritische Fragen oder konfrontative Gesprächsführung finden hier nicht statt. Schuster und Sciurba fungieren eher als Stichwortgeber, so dass Watson seine Agenda vertreten kann. Da es hierbei um millionen-, ja milliardenfaches Töten geht, bin ich Edition Faust für die Neuauflage jedenfalls dankbar. Im Interview von 2021 geht es im Wesentlichen um die Netflix-Dokumentation Seaspiracy. Allerdings muss man die Reportage nicht gesehen haben, auch wenn ich die klare Empfehlung dafür ausspreche.

Ökonomie der Vernichtung

Immer wieder werden Watson und Sea Sheperd vorgeworfen, man würde Propaganda betreiben, dramatisieren und sich nicht an die wissenschaftlichen Fakten halten. Ich halte es dabei allerdings mit Theodor W. Adorno, der in einem anderen Zusammenhang sagte: „Diese Übertreibung ist strengstens geboten.“ Wollen wir uns wirklich darum streiten, ob die Welt 2048 untergeht oder erst 2078, wenn wir immer so weitermachen? Wir vernichten hier nicht nur tierisches Leben. Wir vernichten die Grundlage für jegliches Leben auf diesem Planeten. Auch das unserer Kinder und Enkelkinder. Wir müssen die Entfremdung von Natur und Produktionsprozessen umgehend rückgängig machen. Ein wichtiger Schritt kann dieser Interviewband sein. Anschließend schaut man sich vielleicht die Dokumentationen über das Abschlachten von Haien, Robben, Delfinen oder Walen an. Es bedarf eines grundsätzlichen Umdenkens und nicht nur halbherziger Reformen und Einschränkungen. „Ungefähr 30 Prozent aller gefangenen Fische werden gar nicht von Menschen gegessen, sondern werden zu Fischmehl verarbeitet und an Hühner, Schweine und Zuchtlachs verfüttert.“ Unser Konsum von Lebewesen zerstört diesen Planeten. Und hier kann jede*r selbst ansetzen und etwas verändern.

Einer allein kann die Welt nicht retten, aber man kann sie besser machen.

Etwa 67 Milliarden Euro Subventionen erhält die industrielle Fischerei jedes Jahr. Dabei wird kaum kontrolliert, was mit dem Geld passiert. So werden sogar illegale Fischflotten gefördert. 90 Prozent der Fischbestände sind bereits aus den Ozeanen verschwunden. Und der Fischkonsum nimmt immer weiter zu. Die Katastrophe ist nicht nur absehbar, sie ist bereits da. „Seit 1950 haben wir 40 Prozent des Phytoplanktons verloren, das 50 Prozent unseres Sauerstoffs herstellt… Doch warum verlieren wir 40 Prozent des Phytoplanktons? Weil wir 90 Prozent der Wale töten. Die Wale sind die Bauern der Ozeane.“

Aber die Vernichtungs- und Verwertungsindustrie interessiert sich nur für Profite und viele Menschen interessieren sich nur für sich selbst, ihren Konsum und ihre Vorteile. Jed*r kann, ja muss sich entscheiden, wie es weitergehen soll. In der ebenfalls sehr sehenswerten Dokumentation How to change the world ist ein entscheidender Moment festgehalten. Denn obwohl es um Greenpeace geht, ist auch der ideelle Gründungsmoment von Sea Sheperd zu sehen. Während Greenpeace einen Deal mit Robbenschlachtern eingeht, entscheidet sich Watson für die Direkte Aktion und greift ein. Jede*r muss eben für sich selbst entscheiden, was der richtige Weg ist. Nicht umsonst wird Watson und Sea Sheperd „Ökoterrorismus“ vorgeworfen. Obwohl es sich bei genauerem Hinschauen meist um Staatsterrorismus seiner Gegner handelt.

Neben den beiden Interviews gibt es noch zwei Kapitel zur Sea Sheperd Bewegung bzw. zur Sea Sheperd Conservation Society. Zahlreiche, teils erschütternde Bilder, aus den Kampagnen-Archiven runden das wertvolle Buch ab. Und immer dran denken: Together we protect!

 

Captain Paul Watson: Interview „Eine Bewegung kann man nicht zerstören“ Book Cover Captain Paul Watson: Interview „Eine Bewegung kann man nicht zerstören“
Sarah Schuster, Michele Sciurba
Sachbuch
Edition Faust
2021, Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe
Broschiert
176 Mit vielen Abbildungen aus dem Archiv der Sea Shepherd Conservation Society
https://editionfaust.de/produkt/captain-paul-watson/
19,00 €
978-3-945400-94-4

Pflichtlektüre und niedrigschwelliger Einstieg in ein überlebenswichtiges Thema!