Die lange Reise
Astrophysik, Kosmologie und nicht zuletzt Raumfahrt sind seit einiger Zeit wieder ein regelrechter Hype. Sowohl die Vereinigten Arabischen Emirate als auch China haben vor kurzem mit Sonden den Mars erreicht. Die USA folgen in Kürze. Der Wettlauf zum Mars hat also längst begonnen. Währenddessen bereiten sich immer mehr Nationen und Organisationen auf lange bemannte Weltraumreisen, auf Mars- und neue Mondmissionen vor. Dabei sind noch unzählige Probleme und Fragen zu klären. Wichtigster Ort zur Erforschung von Mensch und Material im Weltraum ist dabei die Internationale Raumstation. Dem deutschen Publikum vor allem durch den Wissenschaftsastronauten Alexander Gerst wieder ins Bewusstsein gerückt. 2009 wurde Gerst unter anderem zusammen mit Samantha Cristoforetti als ESA Astronaut ausgewählt. Cristoforetti hat ein Tagebuch ihrer langen Reise geschrieben, vom harten Auswahlverfahren, der schwierigen Ausbildung, den unzähligen Tests und dem Warten, Bangen und Hoffen endlich ins Weltall reisen zu dürfen. Und da die ESA heute verkündet hat neue Astronaut*innen zu suchen, sei hier das Tagebuch einer Astronautin vorgestellt.

Internationale Raumstation ISS
Ein Leben, um Astronautin zu werden
Cristoforettis Biografie ist vermutlich außergewöhnlich, wenn es um Astronaut*innen geht. Denn sie hatte diesen Wunsch schon sehr früh im Leben und hat selbiges dann auch ganz auf diesen Traum ausgerichtet. Studium der Lauft- und Raumfahrttechnik, Kampfpilotin der italienischen Luftwaffe, frühe Sprachausbildung in Deutsch, Englisch und Russisch. In ihrer Freizeit geht sie Bergsteigen, Tauchen und betreibt Höhlenforschung. Alles Bereiche, die ihr bei der Verwirklichung ihres Traumes helfen sollten. Trotzdem ist solch ein Auswahlverfahren ohne eine gute Portion Glück nicht zu überstehen.
Von der Ernennung als Mitglied des ESA Astronautenkorps, bei dem sie sich gegen 8.400 Mitbewerber*innen durchsetzte, bis zum Flug zur ISS sollte es allerdings noch fünf Jahre dauern. Cristoforetti beschreibt diese lange Reise, die die Ausbildung auf drei Kontinenten bedeutet und sie ins russische Sternenstädtchen Swjosdny Gorodok geführt hat oder ins berühmte Lyndon B. Johnson Space Center in Houston oder ins Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum nach Köln. In Houston war sie im Neutral Buoyancy Laboratory in dem die Astronaut*innen das Schwerelosigkeitstraining absolvieren. In einem riesigen Schwimmbecken ist ein Großteil der ISS in Originalgröße versenkt, so dass die Astronaut*innen unter Wasser in einem die Schwerelosigkeit simulierenden Training ihren künftigen Einsatzort kennenlernen können. Gleichzeitig finden dort bereits die EVA Ausbildungen statt (extra-vehicular activity | Außenbordeinsatz).

Bild CC BY 2.0 | NASA
Training, Training, Training
Schwerelosigkeitstraining stellt die Ausbildung auf der Erde naturgemäß vor einige Herausforderungen. Neben dem Unterwassertraining gibt es deshalb noch die berühmten Parabelflüge. Während man mit einem Flugzeug mit fast 400 km/h von etwa 8500 Meter Höhe im Sturzflug gen Erde rast, wird weitestgehend Schwerelosigkeit erreicht und die Auszubildenden können erste Erfahrungen mit diesem Gefühl machen. Was durchaus auch zum Erbrechen führen kann. Ja selbst Profis sind vor Übelkeit nicht gefeit.

Samatha Cristoforetti zusammen mit Alexander Gerst im Schwerelosigkeitstraining Bild CC BY 2.0 | DLR
Einer der wichtigsten Ausbildungsschritte für Samantha Cristoforetti war das Training am European Robotic Arm der ISS. Dabei handelt es sich um einen etwa 11 Meter langen Roboterarm mit dem unterschiedliche schwierige Unterstützungs- und Greifarbeiten außerhalb der ISS vorgenommen werden können. Unter anderem werden mit dem Greifarm Experimente im Weltraum durchgeführt oder ankommende Raumschiffe (Transporter wie die Dragon von SpaceX) „eingefangen“ und angedockt.

Bild CC BY 2.0 | Cristoforetti
Was nicht fehlen darf, ist die schon fast popkulturelle Zentrifuge. Keine Raumfahrt- oder Astronautendokumentation, kein Buch ohne eine ausführliche Darstellung der großen Zentrifugen mit denen die Astronautenanwärter „malträtiert“ werden. Dabei müssen die Aspirant*innen das mehrfache des eigenen Körpergewichts ertragen. In der Sternenstadt steht mit ihrem 18 Meter langen Arm, die größte Zentrifuge der Welt. Und auch hier ist Cristoforettis Buch eine echte Bereicherung, räumt sie doch mit dem ein oder anderen Mythos ganz unprätentiös auf.

Bild CC BY 2.0 | Cristoforetti
Die lange Reise
Und nach Jahren der Anspannung war es im November 2014 so weit. Cristoforetti wurde mit der Soyuz TMA-15M zur ISS gebracht. Dabei liest sich jeder Abschnitt des Buches, sei es das langatmige Warten, die schnelle aneinandergereihte Ausbildung oder eben der Start in den Weltall grandios. Cristoforettis Bewunderung für Schriftsteller wie Saint-Exupéry, ihre Leseleidenschaft schlägt sich in ihren eigenen schriftstellerischen Fähigkeiten nieder. Es ist eine oft wort- und bildgewaltige Darstellung, ohne in Übertreibung oder Selbstdarstellung abzugleiten. Obwohl es sich um Erlebnisse einer ausgewählten Minderheit der Menschheit handelt, um Erlebnisse, um die sie von tausenden von Menschen bewundert wird, wirkt Cristoforetti wie die Wissenschaftlerin von nebenan. Selten hat sich Raumfahrt so wunderbar gelesen.

Bild CC BY 2.0 | ESA–S. Corvaja, 2014
Dass Cristoforetti trotz der Schwerelosigkeit ganz bodenständig geblieben ist (ähem), zeigt auch ihre Begeisterung für Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“. Die Mission an der sie teilgenommen hat, war ausgerechnet die 42. Und wer wüsste nicht, dass 42 die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ ist.

„Ich bin für eine Weile nicht auf dem Planeten. Zurück im Mai“. Das war die Abwesenheitsnotiz von Samantha Cristoforetti, als sie 200 Tage auf der ISS verbrachte. Bild CC BY 2.0 | ESA/NASA
Cristoforettis Tagebuch hat immer wieder Verweise auf Adams oder auch andere Autoren der Popkultur, da darf Star Trek nicht fehlen.
Star Trek Tribute in der Cupola, dem Aussichtsmodul
Abenteuer Raumfahrt
Und all die persönlichen Erfahrungen sind immer wieder ganz unaufdringlich versetzt mit Fakten und Hintergrundinformationen. Die Funktionsweise der vielzitierten Weltraumtoilette muss selbstverständlich beschrieben werden oder wie man in der Schwerelosigkeit schläft und was man an Bord der ISS isst. Oder auch wie Sport getrieben wird und warum das so elementar wichtig für Astronaut*innen ist. Die meiste Zeit verbringen die Astronaut*innen allerdings mit Experimenten. Auch dieser Einblick in die Arbeit als Wissenschaftsastronautin ist fantastisch und informativ.

Bild CC BY 2.0 | ESA/NASA
Im Sommer 2015 war das große Abenteuer ISS für Cristoforetti allerdings erst einmal zu Ende. Mit der Rückkehr zu Erde folgte die große „Marketing“-Reise um den Planeten. Mittlerweile arbeitet sie in Köln beim DLR. 2019 hat sie die NEEMO 23 Mission geleitet. Eine Projekt am Meeresgrund zur Erforschung von Deep Space Technologie und Mondmissionen.

Bild CC BY 2.0 | ESA-S. Corvaja
Zu erwähnen sei noch die großartige Übersetzungsleistung von Christine Ammann und Walter Kögler. Mehrfach musste ich nachschauen, ob Samantha Cristoforetti das Buch nicht doch in Deutsch geschrieben hat, dermaßen gelungen ist die Übersetzung.
Ein rund um grandioses Sachbuch, das von der ersten bis zu letzten Seite unterhält und informiert und für die Raumfahrt und Naturwissenschaft begeistert. Als Vorbereitung auf das eigene Abenteuer Raumfahrt ein mustread!
Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Penguin.
#YourWayToSpace

Sachbuch
Penguin
02. September 2019
Hardcover
496
https://www.randomhouse.de/Buch/Die-lange-Reise/Samantha-Cristoforetti/Penguin/e557174.rhd
Christine Ammann, Walter Kögler
24,00 EUR
978-3-328-60103-6

Grandioses Tagebuch einer Astronautin und herausragende Wissenschaftskommunikation! #YourWayToSpace