bussmann herbst in nordkorea

Herbst in Nordkorea

Was wissen wir über Nordkorea? Irgendwas mit einem verrückten Führer, wobei lange Zeit unklar war, welche Atommacht sich des irrsten Führers rühmen durfte. Apropos Atommacht – irgendwas mit Raketentests und Atomkriegsdrohungen war da auch noch. Eine Militärdiktatur und völlige Armut fallen einem vielleicht auch noch ein. Aber so richtig wissen wir eigentlich recht wenig über Nordkorea. Dient das Land doch eher als Negativ zur Selbstvergewisserung. Kapitalismus gut, Kommunismus böse. Da wir es nicht gewohnt sind in längerfristigen Prozessen zu denken, nehmen wir den Status Quo auch als natürlich wahr. Dabei wird kaum gefragt, wie es zu dieser Situation eigentlich gekommen ist. Der Koreakrieg gilt nicht umsonst als der vergessene Krieg. Sonst müsste man sich ja auch (mal wieder) mit der Rolle der USA bzw. des „Westens“ auseinandersetzen. Auch hier hat die vielbeschworene Wertegemeinschaft gezeigt, dass massenhaftes Töten auch eine unausgesprochene Grundlage der Gemeinschaft ist. Da sich die meisten Medien nur mit Nordkorea beschäftigen, wenn mal wieder Geopolitik und Machtdemonstration – von wem gerade auch immer – Thema sind, wissen wir im Wesentlichen gar nichts über die Volkrepublik. Was selbstverständlich auch an der Abschottungspolitik der drei Kims liegt. Um so mehr habe ich mich über Rudolf Bussmanns „Herbst in Nordkorea“ gefreut. Eine „Annäherung an ein verschlossenes Land“, wie das Buch zurückhaltend und dafür äußerst treffend untertitelt ist.

Sozialistischer Baustil

Nordkorea verstehen lernen

„Wenn Peter etwas über Paul erzählt, erfahren wir mehr über Peter als über Paul.“ Dieses Bonmot von Paul Watzlawick gilt immer, aber ganz Besonders, wenn es um ideologische oder weltanschauliche Themen geht. Wie kann man sich einem Land und der Bevölkerung möglichst unvoreingenommen nähern, wenn doch der gesamte Wahrnehmungsapparat seit Jahrzehnten medial vorgeformt wurde. Man würde hier von gerichteter Wahrnehmung oder moderner von Framing reden. In der Soziologie gibt es eine eigene Richtung, die sich „verstehende Soziologie“ nennt. Dabei geht es darum, die Sinnzusammenhänge, also die Bedeutungswelten, der betroffenen Menschen zu verstehen. Dabei kommt es häufig zu dem (wiederum ideologisch bedingten) Missverständnis, dass es sich bei dem Versuch zu verstehen ja doch nur um „rechtfertigen“ handeln würde. Dabei können wir nur erklären, was wir vorher auch verstanden haben. Ansonsten würden wir im besten Falle einfach nur beschreiben oder, wie das Zitat von Watzlawick andeutet, wir würden nur bewerten, was mehr über unseren (kollektiven) eigenen Wertemaßstab und unsere selbstbezogene Weltsicht aussagen würde als über den Gegenstand selbst.

Nordkoreas Kims als Statuen

Rudolf Bussmann, Schweizer Schriftsteller, und die in der Schweiz lebende südkoreanische Journalistin Hoo Nam Seelmann haben 2018 den Norden Nordkoreas bereist. Wenn man schon wenig über Nordkorea weiß, so noch weniger über dessen Nordprovinz. Die Reise, unter ständiger Begleitung bzw. Beobachtung führte die beiden auch an Schulen und Fabriken. Sie konnten mit unterschiedlichen Menschen sprechen – wobei sich das aus mannigfachen Gründen meist als wenig fruchtbar erwies. Nichtsdestotrotz gelingt den beiden ein Einblick in Verhältnisse eines Landes, dass mit Propaganda, gelenkter Reiseroute und ausgewählten Gesprächspartnern und sogar vorbestimmten Blickwinkeln auf Denkmäler die Wahrnehmung zu beeinflussen versucht.

Annähern lernen

Umso entscheidender ist es, sich bei solch einer Reise permanent kritisch selbst zu reflektieren. Die eigene Position und Perspektive genauso zu hinterfragen, wie die geschönte Perspektive der Nordkoreaner. Und das ist der größte Wert dieses wunderbaren Reiseessays. Bussmann nimmt sich nicht als Maßstab und versucht eine faire Sicht auf die Menschen Nordkoreas zu werfen. Dabei wird nirgends verharmlost, bagatellisiert oder gar die Perspektive der Begleiter unhinterfragt übernommen. Was nicht zu sehen ist, was nicht gezeigt wird, was Sperrgebiet oder einfach nur moralisches Tabu ist, ergänzt Bussmann aus der Literatur. Und so ist es eine Berichterstattung von vor Ort, die sich damit aber nicht zufriedengibt. So entsteht zwar kein vollständiger Blick, wie sollte das bei einem so isolierten Land auch möglich sein, aber eben eine Annäherung, ein vorsichtiges Herantasten an Geschichte, Wirtschaft, Kultur und die dort lebenden Menschen. Und gerade Letztere stehen immer im empathischen Mittelpunkt der Betrachtung. Wie kann Nordkorea friedlich zurückgeführt werden in die Weltgemeinschaft ohne, dass sie dabei ihre eigene Identität aufgeben bzw. verkaufen müssen?

Parade in Nordkorea

Bussmann erfüllt alle Erwartungen, die mit solch einer Reisereportage einhergehen. Unprätentiös, sich selbst zurücknehmend, erhalten wir einen Blick in ein verschlossenes Land. Spüren etwas vom Totalitarismus der Militärdiktatur, leiden mit den Menschen mit, ohne sie zu bemitleiden, bekommen ein Gefühl für die Identität, die geprägt ist von Fremd- und Selbstisolation, ein Land mit Menschen, dass kaum fremder sein könnte und doch so viel Ähnlichkeit, gerade auch mit deutscher Vergangenheit hat. Ein Land, dessen Führer behaupten es handele sich um das beste Land der Welt, während zugleich nicht einmal die Bevölkerung genügend zu Essen erhält, dass den Kommunismus zugunsten einer starren Klassenhierachie abgeschafft hat, dass einer eigenen Staatskapitalistischen Ideologie folgt und so weit von Sozialismus entfernt ist, wie ein Land nur sein kann – und trotzdem vom Westen als kommunistischer Vorzeigefeind gehandelt wird. Dabei wird die Bevölkerung Nordkoreas in doppelte Geiselhaft genommen. Sowohl die diktatorischen Kims als auch die Global Player Nationen benutzen die Menschen, um ihre Interessen durchzusetzen. Gerade hier ist der Blick auf die Bewohner des Landes und auch die einfühlsame Beschreibung ihres Lebens notwendig, um zu verstehen und so die Spirale des gegenseitigen Aufschaukelns zu durchbrechen. Eine unbedingte Leseempfehlung.

 

Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt beim Rotpunktverlag.

 

Herbst in Nordkorea. Annäherung an ein verschlossenes Land. Book Cover Herbst in Nordkorea. Annäherung an ein verschlossenes Land.
Rudolf Bussmann
Sachbuch
Rotpunktverlag
17.03.2021
Hardcover
212
https://rotpunktverlag.ch/buecher/herbst-in-nordkorea
25,- €
978-3-85869-909-1

Empathische und unbedingt empfehlenswerte Annäherung an ein isoliertes Land.