Prager Fragmente
Ich habe ein Faible für Indie-Projekte und unterstütze regelmäßig mal mehr, mal weniger erfolgreich Literatur Crowdfunding Projekte. Da liegt es nahe, dass ich mich ebenfalls für junge Autorinnen und Autoren interessiere. Hier habe ich die Chance einen noch unverfälschten Blick auf die Gedankenwelt der Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu bekommen. Selbstverständlich sorgt ein professionelles Lektorat für eine Qualitätssteigerung, gleichzeitig laufen die Autoren aber auch Gefahr, dass ihnen die Ecken und Kanten abgeschliffen werden. Dass eigene Ideen und eigener Stil zugunsten der Vermarktung zurechtgestutzt werden. Und nicht zuletzt hat man die Chance einen noch jungen und unbekannten Autor von Beginn an zu begleiten und zu sehen, wie sowohl der Autor, als auch Sprache, Stil und Geschichten wachsen, sich entwickeln und mich mitnehmen. Einer dieser jungen Autoren ist Roman Achmatow, der gerade sein Erstlingswerk per Selfpublishing vorstellt. Prager Fragmente ist eine Essay Sammlung, ein Gedankenensemble, dass während eines Auslandssemesters in der Geburtsstadt Franz Kafkas entstanden ist.So Roman Achmatow, „der noch nie ein Buch geschrieben hat“, über sich selbst. Es war dieser selbstironische Klappentext, der mich neugierig darauf gemacht hatte, einen Blick in dieses Debüt zu werfen.
„Nicht der Regen flutet hier die Straßen – es ist der Moment.“
Jedes Kapitel wird mit einem sehr schönen Zitat und einem vom Autor gemachten Foto eingeleitet. Die Bilder sind schlichtweg großartig und vielleicht bietet sich künftig auch einmal die Gelegenheit für Achmatow einen Bildband herauszubringen oder einen modernen Reiseführer. Denn genauso kann man Prager Fragmente lesen. Es ist ein äußerst individueller, unterhaltsamer, humorvoller und nachdenklicher Reisebegleiter für Prag. Eigentlich sogar für jeden Städtetrip oder noch treffender: Roman Achmatows Eindrücke und Rückblicke sind ein wundervoller Begleiter für jegliche Reise. Denn mit Achmatow kann man Entschleunigung lernen. Es geht nicht darum, die Sehenswürdigkeiten abzuhaken und mit einem leckeren Essen in einem hippen Geheimtipp, Cityhopper abzuspeisen. Vielmehr kann man den Autor dabei begleiten, sich eine Stadt und die Menschen mit allen Sinnen zu erschließen und das in einer Zeit, in der sich viele Menschen lieber voreinander verschließen.
„Einige Schiffe und Boote wiegen sich langsam und gleichmäßig selbst in den Schlaf und warten sehnsüchtig auf baldige Rückkehr ihres Kapitäns.“
Die einzelnen Abschnitte handeln von der Abreise, nächtlichen, mal stillen mal lauteren Spaziergängen durch die Altstadt, Abenteuern in den Metros der Stadt, Eindrücken bei einer zufällig angetroffenen Demonstration des tschechischen PEGIDA-Ablegers, aber vor allem auch der bunten Lebensfreude internationaler Straßenfeste und vielem mehr. Aber vor allem handeln sie immer von Menschen. Dabei nimmt sich Roman Achmatow immer wieder zurück und lässt die Szene Szene sein. Lediglich seine teils melancholischen Gedanken bereichern das Bild. Die Auswahl der Essays ist dabei gut gewählt. Ich wünschte mir nur es wären mehr.

Sonneaufgang über der Vltava (Moldau). © Roman Achmatow
Roman Achmatow ist immer da stark, wo er leise und nachdenklich schreibt. Und das ist zum Glück meistens der Fall. Zwar hat er auch einen wunderbaren teils subtilen Humor und der ist dann auch wirklich lustig, aber zum Teil neigt er auch noch etwas zur Clownerie oder Comedy. Das mag nicht so recht zusammenpassen. Es ist sicher weit entfernt vom Niveaulimbo einer WG-Party aber hat dennoch ab und an etwas vom kumpelhaften Humor, der erzwungen wirkt. Hier kann der Autor sicherlich noch reifen und lieber auf den raffinierteren Humor setzen. Auch wenn man also an der ein oder anderen Stelle ins Stolpern gerät, wiegt es dennoch nicht im Geringsten, den ansonsten wunderbaren Lesegenuss auf. Und auch die Sprache zeigt, dass Achmatow nicht nur fotografieren, sondern auch schreiben kann.
Es sind diese feinen Beobachtungen, die Achmatow zu verbalisieren weiß und die den nachhaltigen Eindruck der Prager Fragmente ausmachen. Dabei beruhen seine Blicke nicht nur auf einem offensichtlich grundlegenden Interesse an Menschen, sondern auch auf seiner allgegenwärtigen menschlichen Wärme. Es sind kluge Gedanken, die von einem tiefsitzenden Humanismus zeugen. Eine Liebeserklärung an Prag, an das Schauen und Sehen, das Nachdenken, das Genießen von Differenzen und an die Sprache, die zu vereinen vermag, was manche trennen wollen.
„Einige der in den engen Seitengassen abgestellten Pianos schweigen anmutig zur Finsternis, während orange schimmernde Straßenlaternen die rauen Betonmauern in grenzenlose Melancholie tauchen.“
Ich hätte mir allerdings mehr Informationen gewünscht. Ein, zwei Sätze mehr zur Umgebung. Mehr Erklärungen, mehr Namen von Straßen, Gebäuden oder Menschen, die Bedeutungen tschechischer Begriffe. Das hätte einerseits mehr Nähe zum Gegenstand hergestellt und andererseits wäre es wirklich ein alternativer Reisebegleiter geworden. Vielleicht möchte ich ja genau in der Kneipe ein Pils trinken, in der sich Achmatow wohl gefühlt hat oder eine Falafel essen, die auch ihm geschmeckt hat. Sicher, Prager Fragmente lebt von den philosophischen Gedanken. Nichts desto trotz glaube ich, dass diese Ergänzung viel Charme entwickelt hätte. Auch wäre dann das Lesevergnügen länger gewesen. Denn das ist auch ein grundlegender Eindruck nach der Lektüre: Schade, schon vorbei.
Hier könnt Ihr das Buch für 10,- Euro erwerben.
Denkt dran, Ihr untertstützt damit auch einen jungen Newcomer.
Roman Achmatow
Prager Fragmente. Essays.
Selbstverlag
92 Seiten
Preis: 10.- Euro
Blog von Roman Achmatow: www.essays-pics.com Hier finden sich auch einige der wunderschönen Fotos.
Eine wirklich besondere Rezension – das WG-Party Niveaulimbo bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Vielen Dank für deine tollen Eindrücke und den Support. Ich hoffe man liest sich bald schon wieder 😉 🙂