Der Barbar in uns muss Liebe finden
Rayk Anders hat mal wieder zugeschlagen. Nach „Eure Dummheit kotzt mich an“ legt er mit „Der Barbar in uns muss Liebe finden“ eine kurze Bestandsaufnahme Deutschlands und der Demokratie vor. Erwartungsgemäß ist Anders erwachsener geworden. Der Aufbau des Buches ist besser, die Recherchen und die Erzählweise gelungener als bei seinem Debüt und das Ganze ohne seine schnoddrig unterhaltsame Art zu verlieren. Aber es ist auch ernster geworden, was schlichtweg an der Ausgangslage liegt, die eben auch weitaus ernster ist als noch 2017. Kein Wunder steht die Weltuntergangsuhr doch bereits 100 Sekunden vor 12. Natürlich ist Anders Buch ein selektiver Blick auf Deutschland und vor allem auf die gegenwärtige Politik, im Sinne gelebter und erfahrbarer Geschichte. Im Mittelpunkt steht dabei nicht weniger als die Faschisierung und Entdemokratisierung der Gesellschaft.Fünf großen Themen widmet sich „Der Barbar in uns muss Liebe finden“. Von der „Sehnsucht nach Grausamkeit“, „Zu den Waffen“, „Die neue (alte) Rolle der Frau“, „Zu dumm für Freiheit“ und „Für immer Krieg“ sind alles Kernthemen der neuen und alten Rechten, der Rechtskonservativen, wie der Rechtspopulisten. Die Grenzen sind da fließend und ebnen den Weg für die Rechtsradikalen und -extremisten. Die AfD und andere Apologeten des Völkischen und Nationalistischen arbeiten an nicht weniger als dem Umsturz des demokratischen Systems und der Abkehr allgemeingültiger humanistischer Werte. Was noch vor Jahren als das schlimmste Übel der Menschheitsgeschichte galt, der Zusammenbruch der Zivilisation und die Barbarei des Holocaust, wird von Teilen der Gesellschaft bagatellisiert, romantisiert und gar wieder herbeigewünscht. So ist es wenig überraschend, dass Rayk Anders viele Beispiele der gelebten Dummheit oder eher der Banalität und Schlichtheit des Bösen, der menschenverachtenden Protofaschisten, auf Seiten der AfD und deren Anhänger findet.
Sehnsucht nach Grausamkeit
Seit einigen Jahren hat sich eine antidemokratische Melange aus dauerempörten alten weißen Männern, die mit ihrem Leben und allem anderen unzufrieden sind, adoleszenten provozierenden und revoltierenden Jugendlichen und Rechtsextremisten gebildet. Sie eint ein Welt- und Menschenbild, dass die häufig selbstgefällige politische Mitte in Deutschland für überwunden hielt. Nationalismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Ablehnung der Demokratie, Helden- und Militärverehrung, hohe Gewaltaffinität, Verachtung humanistischer Werte und der Wille zur Macht sind einige der bestimmenden Motive. Rayk Anders zeigt anhand von Zitaten und Daten, dass sich der demokratische Diskurs nicht einfach nur verschiebt, sondern dass die Demokratie und die ihr zugrundeliegenden Werte abgelehnt werden. So fordert zum Beispiel der Verfassungsfeind Thomas Seitz schonmal die Einführung der Todesstrafe für Asylbewerber.
Zu den Waffen
Besonders interessant fand ich auch den Abschnitt zu Schusswaffen in der Bundesrepublik, da Anders hier ein Argument entspinnt, das ich selbst vor Jahren an der Uni immer gerne vertreten habe. Warum toleriert eine zivilisierte und pazifizierte Gesellschaft, dass Schießen mit tödlichen Schusswaffen als Sport betrieben wird? Was soll das für ein Hobby sein? Natürlich kommt dann als Antwort immer, dass das Waffenrecht in Deutschland ja sehr rigide ist und das da ganz genau hingeschaut wird, wer mit Waffen schießen darf und wer welche zuhause besitzen darf. Das ist eine kollektive Selbsttäuschung, eine kollektive selbstwertdienliche Verzerrung der Realität.
Und wenn man dann noch bedenkt, dass einige tausend Schusswaffen von privaten Besitzern „verloren“ gehen, dass Munition und Kriegswaffen bei Spezialeinheiten der Polizei und Bundeswehr verschwinden und dass es Netzwerke gibt, die Waffen horten und sich auf den Tag X vorbereiten, an dem politische Gegner hingerichtet werden sollen und der Bürgerkrieg gegen alles „Fremde“ und „Unwerte“ beginnt, dann muss man sich schon fragen, was in diesem Land eigentlich los ist.
Die neue (alte) Rolle der Frau
Rolf Weigand, natürlich AfD, möchte wissen, wie viele „gebärfähige Frauen“ es im Freistaat Sachsen gibt – aufgeschlüsselt nach Altersklassen, Landkreisen und Nationalität. Frauen spielen im Weltbild Rechtsradikaler schließlich nur eine Rolle als Mutter für den völkischen Nachwuchs. Es freut mich besonders, dass Anders auch dieses Thema mit aufgenommen hat. Denn alles was mit Frauen zu tun hat, ist quasi der kleinste gemeinsame Nenner aller Rechten. Über Antifeminismus sollen rechte Positionen in die Mitte getragen werden. Wobei man natürlich sagen muss, dass da nicht viel hingetragen werden muss, denn die gesellschaftliche Mitte war immer auch schon extrem. Das herrschende Narrativ hat diese Tendenzen nur beschönigt und verdeckt. Wer sich noch nie mit dem Thema Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe beschäftigt hat, möge dies nun nachholen.
Die Männlichkeit der ganzen Möchtegern-Babos ist dermaßen fragil, dass alles was sie an diese Zerbrechlichkeit erinnert, abgewehrt und abgewertet werden muss. Die Frau als das Böse schlechthin.
„Sozialpsychologisch lässt sich in dieser Haltung folgender Mechanismus erkennen: Ähnlich wie bei Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie) bis hin zu Fremdenhass und Rassismus speisen sich feindselige Einstellungen gegenüber Frauen (Sexismus bis hin zur Misogynie/Frauenhass) aus spezifischen tiefsitzenden persönlichen und sozialen Ängsten vor Schwäche, Deklassierung und Kontrollverlust (die als „weiblich“ etikettiert werden und die man loswerden möchte).“ … so entsteht etwas, was sich als „Krieg im Kopf“ bezeichnen lässt),d.h.: Insbesondere bei persönlichen und sozialen Krisen, die unbewusst als Angriff auf das fragile Männlichkeitskonstrukt empfunden werden, kann es zur Mobilisierung dieser unbewussten Abwehrmechanismen (vor allem der Projektion) kommen. Die Folge ist: Reale oder angebliche Bedrohungen, die mit narzisstischen Kränkungen, Verletzungen des Selbstwertgefühls und der Ehre und so weiter einhergehen, werden als „Notwehrsituation“ empfunden, die Gegenmaßnahmen zur Sicherung der eigenen Integrität subjektiv legitim, ja zwingend erscheinen lassen.“ Rolf Pohl
Zu dumm für Freiheit
Diese antidemokratischen, gewaltaffinen Tendenzen werden noch durch „Dummheit“ verstärkt. Nun geht es bei Dummheit nicht darum, ob jemand gebildet ist oder nicht. Man könnte mit Forrest Gump auch sagen: „Dumm ist der, der Dummes tut.“ Dummheit meint hier eine spezifische Form der selbst verschuldeten Unmündigkeit, wie man es mit Kant sagen könnte. Die Angstgetriebenen, die Hasser und Menschenfeinde lieben die Lüge. Sie lieben die Fakenews und alternativen Fakten (was für ein Begriff), sie lieben die Hetze, den Zynismus und die Demütigung. Wer andere abwertet, wertet sich selbst auf. Das funktioniert individuell wie kollektiv – Nationalisten wissen das. AfD und Querdenker, Chauvinisten und Anti-Feministen, Rechtsextremisten und Extremisten der Mitte interessiert die Wahrheit nicht. Sie interessiert nur die Macht.
Es geht nicht darum, die Gesellschaft besser zu steuern, damit es allen Menschen auf der Welt besser geht oder weniger Leid verursacht wird oder auch nur das Überleben der Menschheit gesichert wird. Das ist alles egal. Sie wollen nur sich selbst und dass was sie jetzt gerade lieben aufwerten. Der autoritäre Charakter ist ein Narzisst und Egomane. Er ist ein Zerstörer – was er nicht haben kann, soll niemand haben.
Für immer Krieg
Die nationalistische Ablehnung der EU ist ein weiteres verbindendes Element zahlreicher verwirrter Verschwörungsideologen und Rechtspopulisten. Dabei ist die EU durchaus ein Erfolgs- und Friedensmodell. Rayk Anders zeigt völlig zurecht auf, dass sich noch vor wenigen Generationen die Menschen Europas gegenseitig unfassbare Gräuel angetan haben. Und trotz alter Erbfeindschaften, trotz Giftgasangriffen, Städtebombardierungen und Konzentrationslagern, hat es die EU geschafft Frieden zwischen den Partnern zu stiften. Anders geht dabei durchaus differenziert vor, es gibt reichlich an der EU zu kritisieren, aber nichts – aber auch gar nichts wird besser durch nationalistische Sezession.
Erschütternd wird es, wenn Anders komprimiert aufzeigt, dass es „buchstäblich nichts [gibt], was rechtsextreme Parteien tun könnten, um bei uns verboten zu werden.“ Es ist kein Buch für gute Laune. Wer „gude Laune“ will, muss zum SvenPanel von Sven Väth gehen.
Anders hat ein Plädoyer für die Demokratie geschrieben. Ein Plädoyer für unsere Verfassung, für Humanismus und Mitmenschlichkeit. Gleichzeitig ist es eine Kampfansage an die Verfassungsfeinde, die Deutschland zu einer völkischen Nation, zu einem Männerbund der Waffenbrüder machen wollen und damit den nächsten Weltkrieg, der wieder von Deutschland ausgehen könnte, den Weg bereiten. Nur dieses Mal würde von Deutschland nichts übrigbleiben.
Findet Liebe und wehrt euch
Auch deshalb ist es an der Zeit, endlich zu agieren. Und es wird an den jungen Generationen liegen, denn zahlreiche Querdenker sind bereits verloren, die holt man auch nicht mehr zurück in die Demokratie. Damit muss eine Gesellschaft leben können. Eine offene Gesellschaft hat immer auch Feinde. Deshalb braucht es auch eine wehrhafte Demokratie. Und am Anfang steht immer das Wissen, denn die Lüge wird sich selbst fressen. Hat sie in der Geschichte immer, und wird sie auch künftig. Allein deshalb ist es wichtig, dass Rayk Anders Zielgruppe dieses Buch unbedingt liest. Deshalb sharing is caring!
Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei dtv.

Sachbuch
dtv
23. April 2021
Taschenbuch
224
https://www.dtv.de/buch/rayk-anders-der-barbar-in-uns-muss-liebe-finden-26296/
14,90 €
978-3-423-26296-5

Niedrigschwellige, unterhaltsame wie schockierende Bestandsaufnahme unserer Demokratie. Lest das!