Eine Rose allein
Muriel Barbery war mir bis vor kurzem kein Begriff. Spiegel-Bestseller meide ich und so auch Barberys „Die Eleganz des Igels“. Das hat natürlich nichts mit den jeweiligen Autor*innen zu tun, sondern spiegelt einfach meine Erfahrungen mit massenkompatibler Literatur wider. Da bleibt es nicht aus, dass ich auch mal daneben liegen und gute Romane an mir vorbeigehen. Nun hat Muriel Barbery einen weiteren Roman geschrieben, „Eine Rose allein“. Überzeugt hatte mich tatsächlich mal der Klappentext, bzw. das dort abgedruckte Rezensionszitat von Booklist: „Eine leuchtende Meditation über Trauer.“ Zusammen mit den im Klappentext erwähnten Themen Japan, Zen-Gärten und buddhistischen Tempeln war mein Interesse geweckt. Beschäftige ich mich doch seit geraumer Zeit mit Meditation, Buddhismus und Daoismus.Das Leben ist Wandel
Um es gleich vorweg zu schreiben, Muriel Barberys Stil ist nicht für jede*n etwas und auch eigentlich überhaupt nicht bestsellerfähig. Man kann „Eine Rose allein“ jedenfalls nicht einfach so weglesen. Es ist weder Pendlerliteratur, noch etwas, was man kurz vorm Einschlafen liest. Es ist keine Unterhaltungsliteratur und taugt auch nicht zum Eskapismus. Auch gib es keine spannende Geschichte, der man folgen könnte. Dementsprechend auch keine Höhepunkte, Turning Points oder sonst irgendetwas, was die Erwartungshaltung der Leser*innen bedienen würde. Die Handlung ist mit wenigen Sätzen vollständig beschrieben. Die 40jährige Botanikerin Rose erfährt vom Tod ihres japanischen Vaters, den sie nie kennengelernt hat.
„In den Öfen der Hölle, schlossen Menschen ihre Regenschirme“
Rose stimmt halbherzig (oder kaltherzig?) zu, der Testamentseröffnung in Kyoto beizuwohnen. Bevor es jedoch soweit ist, führt ein Mitarbeiter ihres Vaters sie zu zahlreichen Tempeln und Zen-Gärten. Das wars. Mehr passiert nicht. Und doch entwickelt gerade diese Leerheit eine magische Anziehungskraft. Spielt doch Leere im Zen eine zentrale Rolle. Genauso wie Leid und Trauer. Immer wieder diese Trauer. Jede*r trauert in diesem Roman um irgendwen, ohne jedoch, dass hierdurch eine Schwere entsteht, die den Text erdrücken würde.
Muriel Barbery wandelt zwischen verspielter Sprachverliebtheit und Obesession. Kaum ein Satz der nicht in Allegorien schwimmt, nahe dem Ertrinken. Sprache fungiert hier als meditatives Werkzeug. Das ist am Anfang durchaus anstrengend und fordert die Leser*innen heraus. Man muss diesem Schreibstil Zeit geben sich zu entfalten. Er durchbricht unsere Erwartungshaltungen und Lesegewohnheiten. Vielen wird das zu aufgesetzt wirken, zu detailliert, zu affektiert, zu gewollt. Andere werden die meditative Kraft, die sublime Emotionalität lieben lernen.
Lesen als Meditation
Wer sich für Japan, Zen und Meditation interessiert, findet in „Eine Rose allein“ ein außergewöhnliches Buch. Eine meditativ-kontemplative Leseübung. Eine Ergänzung der Zazen-Praxis. Aber auch für Leser*innen, die der hektischen Literatur entfliehen wollen und Lesen als meditatives, ruhiges, entspannendes Erlebnis erleben wollen, ist Muriel Barberys Roman eine Einladung achtsames Lesen zu entdecken.

„Der Ahorn aber brach den Raum auf, ihre Wahrnehmungen ertranken in dem Riss, und Rose spürte, dass er sie an sich zog, ihren Atem ansaugte, dass er aus ihrem Körper ein Bäumchen mit wisperndem Astwerk machen würde.“
Eine Rose allein ist ein Roman mit Alleinstellungsmerkmal. Mir hat er außerordentlich gut gefallen und es wird eines jener wenigen Bücher sein, die man ohne weiteres mehrmals lesen kann.
Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei List.

Roman
List
27.05.2022
Hardcover mit Schutzumschlag
208
https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/eine-rose-allein-9783471360460.html
Aus dem Französischen übersetzt von Norma Cassau.
19,99 €
9783471360460

Wunderbares meditativ-kontemplatives Leseerlebnis.