Die Spielverderber
Michael Ende ist auf Koreander geradezu omnipräsent, dass liegt nicht zuletzt daran, dass er Namenspate für den Bücherblog ist. Viele Leser*innen kennen Ende allerdings nur als vermeintlichen Kinderbuchautoren. Wer seine Biografien gelesen hat, weiß, dass ihn diese Kategorisierung Zeit seines Lebens schwer zu schaffen gemacht hat. Zwar mögen Jim Knopf, Momo oder Die unendliche Geschichte seine bekanntesten Werke sein, doch ein Großteil seiner künstlerischen Arbeiten widmete er der surrealen, phantastischen Erwachsenenliteratur. Ganz abgesehen davon, dass Ende auch die Schubladen für Momo und Die unendliche Geschichte so nicht akzeptiert hätte, da diese Bücher (auch) für Erwachsene geschrieben sind. Lange war es eher schwierig oder zumindest aufwendig an Endes weitere Arbeiten heranzukommen. Waren diese doch verteilt in Sammelbänden und herausgegeben von unterschiedlichen Verlagen. Seit geraumer Zeit hat sich aber der kleine Verlag hockebooks daran gemacht die Edition Michael Ende herauszugeben. Zuerst als E-Book, und später dann auch als BoD. Für Michael Ende Liebhaber eine wundervolle Edition, auch wenn natürlich vieles schon anderweitig veröffentlicht war. Nach Der Spiegel im Spiegel, Das Gefängnis der Freiheit, Der Goggolori, Die Jagd nach dem Schlarg und dem etwas schwierigem Mehr Phantasie wagen habe ich nun endlich Die Spielverderber oder Das Erbe der Narren gelesen und kann dieses Theaterstück allen wärmstens empfehlen.
Conditio Humana
Michael Ende hat zwar immer betont, dass seine Geschichten ohne den erhobenen Zeigefinger daherkommen und dass die phantastischen Erzählungen für sich stehen, ohne moralischen Anspruch. Aber dennoch hat er immer großen Anteil an der Zeitgeschichte genommen und vielleicht steht dieses Theaterstück pars pro toto für Endes politisch-philosophisches Engagement. Endes Gesellschaftskritik dreht ein übliches Moment ins Gegenteil. Nicht die explizite Kritik steht im Mittelpunkt, sondern die Darstellung der Menschen, welche wiederum bei den Leser*innen bzw. Betrachter*innen eigenständiges Denken und das selbständige Entstehen von Kritik auslösen sollen.
In diesem Sinne ist Endes Gesellschaftskritik eine Bewusstseinsbildung, die der Kritik vorausgeht. Ende schafft die Bilder, die das Bewusstsein in Wallung, in Veränderung bringen soll. Und darin war Ende nicht nur ein großer Meister, er war auch gesellschaftspolitisch überaus aktiv. Nur eben in für uns ungewohnter Weise. Das Vorwort ist in dieser Hinsicht hochinteressant. Auch wenn sich der späte Michael Ende (1988) von seinem früheren Ich (1960er) leider etwas distanziert und damit auch die Aussagekraft des Theaterstückes relativiert. Leider, denn Die Spielverderber ist auch heute noch grandios und (wieder bzw. immer noch) hochaktuell.
Die Hölle, das sind die anderen
Bei Ende geht es häufig um das große Ganze. Momo und Die Unendliche Geschichte beschäftigen sich schließlich mit nichts weniger als dem Untergang der uns bekannten Welt. Und so ist die selbstverschuldete Apokalypse auch Thema beim Erbe der Narren. Ein verstorbener mysteriöser Wohltäter hat völlig Fremde zu seinen Erben bestimmt und sie in sein Schloss eingeladen. Den zehn gänzlich unterschiedlichen Personen offenbart der Nachlasswalter, dass das Testament in zehn Teile zerstückelt wurde und jeder potentielle Erbe nur ein Stück bekommt. Um das Testament nun lesen zu können, ist die Erbengemeinschaft darauf angewiesen zu kooperieren. Denn nur alle 10 Teile gemeinsam entschlüsseln das Dokument.
Das Theaterstück ist ein allegorisches Phantasma, ein Lehrstück der Dummheit, des Wahnsinns und der Zwietracht. Und allein deshalb schon aktueller denn je. Es ist ein Narrenspiel wie es die Menschheit jeden Tag lebt, ohne es zu merken. Genau hier setzt der Literat ein, um das Bewusstsein zu schaffen, was die Bewusstseinsmanipulationsindustrie täglich zu verschleiern sucht. Allein die am Ende des Buches aufgeführten Gründe, beim Ausbrechen eines Brandes nicht zu löschen, lesen sich wie eine Bestandsaufnahme der Diskussions- und Handlungskultur der Gegenwart. Es scheint sich wenig geändert zu haben in den letzten 50 Jahren. Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es schon fast wieder lustig. Eine Commedia Infernale eben.
Der Spielverderber direkt bei hockebooks bestellen.

Edition Michael Ende
Theaterstück
hockebooks
1. Mai 2020
Taschenbuch
216
https://hockebooks.de/buch/spielverderber
9,99 €
9783957513304

Ein allegorisches Phantasma, ein Lehrstück der Dummheit, des Wahnsinns und der Zwietracht. Vielleicht aktueller denn je.