cover wir töten stella
Novellen:
Marlen Haushofer
Preis:
10,- €

Rezension von:
Bewertung:
4
7. Januar 2018
Letzte Änderung:5. Januar 2018

Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen.
Wir töten Stella sind fünf Sterne, Das fünfte jahr für mich nur drei.

Wir töten Stella

Charakter- oder Persönlichkeitsstudien können mich immer begeistern. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Handlungen für mich sinnvoll sind, sondern ob das Verhalten und Empfinden der Protagonisten in sich stringent und damit nachvollziehbar ist. Da gilt es auch die eigenen Gefühle auszuhalten, ob der in den eigenen Augen oft krassen Fehlentscheidungen der Figuren. Nur, was für den Einen Fehlentscheidungen sind, sind für Betroffene häufig Zwangsläufig- und Notwendigkeiten. Da gibt es keine Handlungsoptionen, da wird mit Vollgas gegen die Wand gefahren. Denn oft sind es gesellschaftliche Strukturen und Dynamiken, die dem individuellen Handeln Schranken setzen, auch wenn wir das nicht wahrhaben wollen. Marlene Haushofer ist eine Spezialistin für genau solche Konstellationen. Und mit Wir töten Stella hat sie bereits 1958 eine meisterinnenhafte Erzählung vorgelegt, die trotz gewisser zeitgenössischer Unterschiede auch heute noch wirkt und gilt.

Bei dem Titel ist von Anfang an die Richtung vorbestimmt und der Spannungsaufbau muss anderen Regeln folgen. Obwohl also von Anbeginn klar ist, dass Stella stirbt, wollen die LeserInnen wissen, wie es dazu kam. Dass es kein Mord ist, offenbart sich ebenso schnell.

„Stella wollte tot sein, und mit der gleichen besinnungslosen Selbstaufgabe, mit der sie sich ins Leben hat fallen lassen, fiel sie aus dem Leben, das vergessen hatte, sie festzuhalten mit ein wenig Liebe, Güte und Geduld. Wir haben Ursache zur Dankbarkeit. Wie peinlich wäre es gewesen, hätte sie Schlafpulver genommen oder sich aus einem Fenster gestürzt. Ihre Vornehmheit, die eine Vornehmheit des Herzens war, zeigte sich in der Art, in der sie starb, uns allen die Möglichkeit schenkend, an ein sinnloses Unglück zu glauben.“

Sein und Haben

Die Erzählerin ist die Mutter und Ehefrau der Familie, die hier im Mittelpunkt steht. Sie notiert die Ereignisse, um ihrem Sohn irgendwann einmal Rechenschaft abzulegen, denn das Unglück kam sehenden Auges, ohne dass irgendjemand etwas dagegen getan hätte. Marlen Haushofer beschreibt in einer klaren, präzisen und geradezu brutalen Sprache, die Herrschafts- und Machtverhältnisse patriarchaler Gesellschaften und Familien. Der Mann, das unangreifbare Oberhaupt, die Frau, die zu ertragen und schweigen hat.

„Richard ist der geborene Verräter. Mit einem Körper ausgestattet, der ihn zum unaufhörlichen Genuß befähigt, könnte er zufrieden leben, wenn er nicht obendrein mit einem blendenden Verstand begabt wäre. Dieser Verstand erst macht die Vergnügungen seines genußsüchtigen Körpers zu Untaten. Richard ist ein Ungeheuer: fürsorglicher Familienvater, geschätzter Anwalt, leidenschaftlicher Liebhaber, Verräter, Lügner und Mörder.“

Man weiß was geschehen ist. Man ahnt die Zusammenhänge. Und dennoch, oder gerade deshalb, kann man Wir töten Stella nicht aus der Hand legen. Was ist im Detail geschehen? Wie konnte es dazu kommen? Warum hat niemand eingegriffen? Welche psychischen und gesellschaftlichen Bedingungen konnten dazu führen? Marlen Haushofer hat eine Novelle geschrieben, die eine der Grundthesen des Psychoanalytikers Erich Fromm zu illustrieren scheint.

„Nicht wegen meines Aussehens also oder wegen meiner liebenswerten Eigenschaften liebte er mich, sondern nur als seinen Besitz.“

Wo das Sein dem Haben weicht, wo das Lebendige, dem Materiellen, dem Besitzdenken ausgeliefert ist, steht am Ende immer der Tot. Wo die Menschen zum Objekt (der Begierde) verkommen, ist der erste Schritt zum Leblosen getan. Wir töten Stella beschreibt dies in außergewöhnlich eindrucksvoller Weise.

Das fünfte Jahr

In dem kleinen Büchlein befindet sich auch noch eine weitere Erzählung. In Das fünfte Jahr wird die Geschichte der vierjährigen Marili erzählt, die bei ihren Großeltern aufwächst, da ihre Eltern bereits tot sind, ebenso wie alle anderen Kinder der Großeltern. Es liegt nahe hier den Weltkrieg als Grund anzunehmen, erschien Das fünfte Jahr doch erstmalig 1952. Die Weltsicht einer vierjährigen zu beschreiben, ist natürlich eine große Herausforderung und endet zwangsläufig mit den Projektionen Erwachsener auf die Gefühlswelt von Kindern, weshalb mich diese Geschichte auch nicht überzeugen konnte. Zwar ist auch hier die Sprache wieder bestechend präzise, aber für mich vermag es die Geschichte nicht retten. Die „kalte, harte Realität“, die Marili laut Verlag in diesem schriftstellerisch begleiteten Jahr erleben wird, steht für mich im Widerspruch zur vorausgehenden Novelle. Wenn der Maßstab natürlich eine heile Kinderwelt ist, dann ist auch Das fünfte Jahr überraschend hart.

 

Hinweis
Die Verfilmung soll am 18. Januar in Deutschland starten.

 

Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Ullstein.

 

Wir töten Stella / Das fünfte Jahr
Marlen Haushofer
Taschenbuch
Broschur
112 Seiten
Verlag: Ullstein
Preis: 10,- €
ISBN-13 9783548291390