cover der report der magd
Roman:
Margaret Atwood
Preis:
12.- €

Rezension von:
Bewertung:
5
10. Januar 2018
Letzte Änderung:5. Mai 2020

Herausragende Dystopie und Gegenwartskritik

Der Report der Magd

Es gibt Dystopien und Science Fiction Szenarien, die sind eigentlich gar keine. Omar El Akkads American War ist dafür ein Beispiel. Margaret Atwoods Der Report der Magd schlägt in die gleiche Kerbe und zwar mit der gleichen brutalen Wucht, wie es andere große Dystopien vor ihr getan haben. Nichts was in dem Roman beschrieben und in eine mögliche Zukunft der USA projiziert wird, findet nicht gegenwärtig in irgendeinem Land statt. Was Atwood macht, ist das Zusammensehen, das literarische Verdichten, die Beispiele aus unterschiedlichen Ländern und Religionen in das fiktionale Gilead, einem Nachfolgestaat der USA zu transportieren. Es wäre eine unzulässige Verkürzung hier einen feministischen Roman oder eine Geschichte der unterdrückten Frau herauszulesen. Denn es ist weit mehr, es ist eine durch und durch humanistische Erzählung. Nichtsdestotrotz ist der Plot orientiert an der Frauenfeindlichkeit. Der Misogynie fundamentalistisch-religiöser Gesellschaften, dem Hass auf Frauen rechtsradikaler, despotisch-patriarchaler Gruppierungen.

Der Report der Magd beschreib eine nahe Zukunft der USA. Umweltverschmutzung, chemische, biologische und radioaktive Verseuchung haben dazu geführt, dass die Menschen zunehmend unfruchtbar werden und somit der Fortbestand der Gesellschaft ernsthaft gefährdet scheint. Ängste führen zu Radikalisierungen und eines Tages führen die Söhne Jakobs, eine christlich-fundamentalistische Gruppierung, einen Staatstreich durch bei dem die komplette Führung der USA, Präsident und der gesamte Kongress, ermordet werden. Das Militär ruft sofort den Ausnahmezustand aus, die Verfassung ist suspendiert. Es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, wobei sich die militärisch organisierten Söhne Jakobs weitestgehend durchsetzen können und die Republik Gilead ausrufen.

Gilead

Das Ergebnis der reaktionären Revolte ist ein totalitärer, fundamentalistischer Staat, in dem die Männer die absolute Herrschaft haben und Frauen lediglich nach ihrer Fertilität bewertet werden. Damit nicht genug, sind Frauen vollständig enteignet und zu Objekten degradiert. Für Frauen herrscht ein unüberwindbares Kastensystem. Im besten Falle sind sie Ehefrauen und stehen damit zumindest zu einem Mindestmaß unter staatlichen Schutz, im schlechtesten Falle sind sie Unfrauen und werden in die Kolonien zum Giftmüll säubern deportiert. Daneben gibt es noch verschiedene Hauswirtschafterinnen, die solange sie diese Funktion erfüllen, ebenfalls halbwegs sicher leben. Einen besonderen Stand haben die Mägde. Diese, sich als fruchtbar erwiesenen Frauen, dienen den Kommandanten als Brutmaschinen.

Damit die Kasten und Hierarchien sofort erkennbar sind, tragen Männer ihrem Status entsprechend gefärbte Uniformen, während die Frauen ebenfalls in uniformen Farben gekleidet sind. Der Totalitarismus der männlich-klerikalen Herrschaft ist allgegenwärtig und brutal. Wer sich dem System nicht unterwirft wird geprügelt. Wer sich den Gesetzen nicht beugt, wird verstümmelt. Und wer sich dem System widersetzt oder flüchtet, wird öffentlich hingerichtet oder massakriert.

Die Protagonistin des Reports ist die Magd Desfred ((der Name ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den Namen des Patriarchen und den Possessivpronomen des, die Magd des Fred, Desfred.)). Von ihr erfahren wir, wie die Gesellschaft organisiert ist und was die Menschen, vor allem die Frauen zu ertragen haben. Sogar die selbstbestimmte Flucht aus der Demütigung, Unterdrückung und Gewalt, wird den Mägden versucht zu verhindern. Selbstmord soll unmöglich gemacht werden. Der totalitäre Herrscher bestimmt darüber, wann jemand zu sterben hat, nicht die Individuen selber.

Öffnet die Augen

Margaret Atwood hat eine erschütternde Dystopie geschrieben, die weit weniger Zukunftsvision denn Gegenwartsmahnung ist. Spannend, kühl, zerstörerisch, hoffnungsvoll, nihilistisch und unmittelbar aufrüttelnd! Ob es tatsächlich einmal ein „Kultbuch einer ganzen Generation“ war, wie es der Klappentext suggeriert, mag dahingestellt bleiben. Fakt ist, es sollte in den Pflichtlektürekanon, zumindest der dystopischen und gesellschaftskritischen Literatur, aufgenommen werden.

„Haben wir so gelebt damals? Aber wir haben gelebt, wie es üblich war. Alle tun das, meistens jedenfalls. Alles, was vor sich geht, ist wie üblich. Sogar dies jetzt ist wie üblich. Wir haben wie üblich gelebt, indem wir ignorierten. Ignorieren ist nicht das Gleiche wie Ignoranz, man muss etwas dazu tun. Nichts verändert sich auf einen Schlag: In einer nach und nach immer heißer werdenden Badewanne wäre man totgekocht, ehe man es merkt. Natürlich standen Geschichten in den Zeitungen: Leichen in Straßengräben oder im Wald, zu Tode geknüppelt oder verstümmelt, böse zugerichtet, wie es immer hieß, aber in diesen Geschichten ging es um andere Frauen, und die Männer, die so etwas taten, waren andere Männer.“

 

Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Piper.

Der Report der Magd
Margaret Atwood
Übersetzt von: Helga Pfetsch
Taschenbuch, Broschur
416 Seiten
Preis: 12,- €
Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-31116-8