Qualityland 2.0
Ich gebe zu, ich bin auf Marc-Uwe Kling erst sehr spät aufmerksam geworden. Ich bin gegenüber überbordender Werbung und dem Gehype von Autoren immer äußerst skeptisch. Und gerade das Känguru war im Internet ja allgegenwärtig und wurde zigtausendfach zitiert. Erst als Qualityland rauskam, war mein Interesse geweckt. Mit guter Science Fiction kriegt man mich ja immer rum. Also habe ich dem Buch eine Chance gegeben und war völlig überrascht. Qualityland ist grandios. Da passt wirklich alles. Humor, Sozialkritik, Charaktere und mit Abstrichen auch die (recht einfache) Geschichte. Mehrfach habe ich den Film während des Lesens schon vor Augen gesehen, insofern wunderte mich dann auch die Nachricht nicht, dass sich HBO die Rechte für eine Serie gesichert hatte. Nach Qualityland habe ich mir dann noch die Känguru-Tetralogie angehört. Und diese Live-Lesungen von Kling selber sind echt genial. Man merkt schon, ich bin von der kritischen Distanz zum Fanboy mutiert. Auch den Film die Känguru-Chroniken fand ich nämlich ganz gut. Bleibt nur die Frage, ob Qualityland wirklich eine Fortsetzung braucht? Oder wird hier das Pferd zu Tode geritten?Qualityland 2.0 setzt direkt nach Teil Eins an und dementsprechend sind alle Protagonist*innen, zusätzlich ein paar neuer, wieder mit dabei. Es ist allerdings sinnvoll vorher den ersten Teil zu lesen, falls man sich für 2.0 interessieren sollte, sonst bekommt man keinen Einstieg in die Geschichte. Die ist zwar nicht gerade überkomplex, aber für das volle Vergnügen sind Zusammenhänge ja auch mal ganz nett.
Keine klassische Science Fiction
Während wir in Teil 1 Peter mit Peters Problem (mit dem ungewollten rosa Delfinvibrator) begleitet haben, sind wir dieses Mal dabei Kikis Geheimnis zu lösen. Bei Kling geht es nicht darum ein großartig innovatives Worldbuilding zu bewundern oder ausgefeilte Suspense oder verwobene Handlungsstränge zu verfolgen und ganz sicher geht es auch nicht darum, dem Ende entgegen zu rätseln. Kling ist kein Genre-Autor und dementsprechend kann er auch nicht mit den Genre-Größen mithalten. Aber darum geht es ja auch nicht, wenn man sich einen Kling zulegt. Dann möchte man vor allem humorvolle linke Sozialkritik. Die Realität ist nämlich schon traurig genug. Und da muss man Kling einfach gratulieren. Es dürfte keinen Linken in Deutschland geben, der mehr Menschen mit Gesellschafts- und Kapitalismuskritik erreicht hat.
In Qualityland kann er die Kritik auch noch weitaus umfangreicher formulieren, als mit dem Känguru, denn hier hat er die Möglichkeit, die zukünftige Welt zu beschreiben, was als Kritik schon fast ausreicht. Und der Kern ist natürlich: das Ganze ist witzig, weil wahr. Oder wahlweise auch erschütternd. Aber Humor war ja schon immer eine Verarbeitungs- und Abwehrstrategie. Denn das Szenario Qualityland mag zwar für den Einen oder die Andere auf den ersten Blick wie grausame Zukunftsmusik klingen, aber die Instrumente dieser Musik werden bereits heute gebaut und eingesetzt. Man fürchtet fast das Friedrich Merz, der Seeheimer Kreis und die Werteunion die Bücher als Anleitung verwenden werden.
Die 10 besten Argumente gegen den Kapitalismus – mit dem Dritten hättest du nie gerechnet
Klings Kenntnisse der Gesellschaftstheorien und -theoretiker sowie der aktuellen sozialkritischen Diskussionen sind immer wieder verblüffend. Zumal er auch noch Connaisseur der gängigen Memes, nerdigen Filme und Spiele ist. Naja, der Kleinkünstler kennt sich mit der Popkultur eben ganz gut aus. Und es sind auch die selbstreferentiellen und sich dabei selbst nicht ernstnehmenden Verweise, die immer wieder Spaß machen. Apropos Verweise, die gibt es dieses Mal nämlich reichlich. Gerade das letzte Drittel strotzt davon. Es scheint fast so, als hätte Kling zum Zeitpunkt des Schreibens Ready Player One gelesen. Zumindest gibt es dermaßen viele (äußerst gelungene und witzige) popkulturelle Referenzen, dass gerade das letzte Drittel unterhaltungsmäßig zum Besten gehört, was Kling bisher geschrieben hat. Von Zurück in die Zukunft bis zu Game of Thrones spannt die Reichweite der Anspielungen. Interessanterweise hat Kling auch etwas gemacht, was mir bei Qualityland (Teil 1) aufgefallen war. Mal ernsthaft: wer weiß in welcher Kapitelnummer er sich gerade befindet, wenn die einfach nur durchnummeriert sind? Da denkt mal drüber nach. Andere Überschriften sind Clickbait-Artikeln nachempfunden. Was mal mehr und mal weniger gelungen ist. Aber allein diese war es wert:
Wenn du Qualityland 2.0 nicht liest, macht dich jemand Kapuuuut
Allerdings, und das sei hervorgehoben, hat Qualityland 2.0 nicht mehr die Leichtigkeit seines Vorgängers oder des Kängurus. Hier wird es schon derber und auch gewalttätiger. Ob das wirklich nötig ist? Da bin ich recht ambivalent. Einerseits brauche ich das in solchen Romanen nicht, andererseits wird Kling ja auch älter (und vielleicht ernster) und vor allem gibt es das dystopische Zukunftsszenario eben auch her. Solange er es nicht übertreibt, geht das für mich in Ordnung.
Mit Qualityland 2.0 bekommt man jedenfalls den besten Kling aller Zeiten. Am Anfang seriöser und reifer und zum Ende hin grandios unterhaltsam. Wer eigentlich nur Science Fiction lesen will, der wird vermutlich nicht so richtig glücklich werden. Klar es gibt Roboter, sogar Killerroboter, und sogar Killerroboterkiller, witzige Gadgets, dystopische Welten aber eben keine echte Geschichte. Die Erzählung ist eher das Rahmenwerk für den Humor und die Kritik. Für mich macht das Marc-Uwe Kling aus und ich möchte auch genau das lesen. Anderen wird das zu links, zu kritisch oder zu banal sein. Aber das macht natürlich nichts, für all diejenigen sei dann der Trailer zu einem der besten Science Fiction Werke aller Zeiten empfohlen.
Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Ullstein. Oder direkt auf Qualityland.de (mit Hörprpbe).

Roman - Science Fiction
Ullstein
12.10.2020
Hardcover
432
https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/qualityland-20-9783550201028.html
19,00 €
9783550201028
Wenn du das nicht liest, wirst du nie den besten Witz der Welt erfahren.