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 China und Japan

China ist eines der ganz großen Themen des aktuellen Sachbuchmarktes. Zwar erscheinen mit großer Regelmäßigkeit Bücher über das „Reich der Mitte“, aber meist werden diese nicht von Fachleuten für China, sondern von Politikberatern, Sicherheits- oder Militäranalytikern oder von Ökonomen geschrieben, die vom „Gegenstand China“ recht wenig Ahnung haben, dafür aber viel ideologisches Gepäck mit sich herumtragen, mit dem sie mehr über den Zustand des Westens aussagen als über China. Ganz anders die gegenwärtigen Sachbücher, die vor allem dadurch überzeugen, dass hier Sinologen schreiben. Besonders hervor hebt sich Kai Vogelsang mit „China und Japan. Zwei Reiche unter einem Himmel“. Entgegen einer klassischen Geschichtsschreibung, die vor allem eine statische, monozentrierte und häufig voluntaristische ist, denkt Vogelsang, wie es der Soziologie Norbert Elias einst forderte, „von den Beziehungen auf die Bezogenen“. Menschen machen einander, das gilt auf individueller Ebene genauso wie auf Großgruppenebene und nirgends ist dieses Diktum deutlicher zu beobachten wie in den Beziehungen zwischen China und Japan.

Eine moderne Geschichtsschreibung kann nur langfristig sein, so man denn die Verflechtungen und Entwicklungsbedingungen der zu beschreibenden Gesellschaft(en) verstehen möchte. Und so beginnt Kai Vogelsang vor etwa 30.000 Jahren. Natürlich nur skizzenhaft aber es verdeutlicht von der ersten Seite des unbedingt lesenswerten Sachbuches die gemeinsame Genese Ostasiens. Über die neolithische Revolution, Bronze- und Eisenzeit zur Gründung des chinesischen Kaiserreichs 221 v. Chr. Der kurze Abriss dient lediglich zur Einordnung, vom Gegenstand „China“ und „Japan“ konnte da noch keine Rede sein. Die nationalistische Kategorisierung von Menschen war da noch weit entfernt und die Identitäten waren lokal, nicht national. Und das sollte im Falle Chinas auch noch sehr lange so bleiben. Das 5.000jährige Kulturreich kann man getrost ins Reich der Legenden oder nationalistischen Mystifizierung schieben. Ähnlich wie es keine tausendjährige Geschichte Deutschlands gibt.

Ungleichzeitigkeit der Entwicklung

Allerdings entwickelten sich die Regionen, die später einmal China werden sollten bereits sehr früh, während auf den Inseln die später Japan werden sollten, die Menschen gleichzeitig Jahrtausende im Stillstand verbrachten – oder zutreffender: beide Regionen entwickelten sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Während China eine atemberaubende Entwicklung nahm, harrte Japan auf die entscheidenden Impulse. Getrennt durch ein paar hundert Kilometer Meer von den Entwicklungen auf dem Festland, verblieben die Stämme auf den Inseln als Jäger und Sammler. Währenddessen lernte man auf dem Kontinent Äcker zu bestellen, den Bronzeguss zu perfektionieren, Städte und Paläste zu bauen und Weltliteratur zu schreiben.

altes modernes china

Die Tang gründeten im 7. Jahrhundert ein Weltreich, dass fast 300 Jahre Bestand haben sollte. Die Hauptstadt Chang’an „war mit ein bis zwei Millionen Einwohnern nicht nur die größte Metropole ihrer Zeit, sondern eine wahre Weltstadt, in der Menschen aus allen Gegenden zusammenkamen: Araber, Türken, Mongolen, Perser, Juden, Tibeter, Koreaner, Sogder – und Japaner. Chang’an war Knotenpunkt der Seidenstraße und kulturelles Zentrum der Welt.“ Recht und Gesetz, Religion, Kunst, Architektur, Musik und Literatur erlebten ihre bisherigen Höhepunkte. Der Mythos des uralten Kulturreiches China mag hier seine realen Bezugspunkte herhaben. Zumindest entwickelte die Tang-Dynastie eine Strahlkraft, die fast über den gesamten Globus reichte. Es entstand nicht nur ein reger Austausch mit den Regionen Europas, sondern auch die japanischen Herrscher schickten zahlreiche Gesandtschaften, um von der Hochkultur zu lernen.

Terracotta Armee

Geliebter Feind

Aber natürlich war der Austausch nicht einseitig, auch wenn es ein steiles Machtgefälle zwischen den beiden Regionen gab. Und auch wenn die chinesischen Herrscher auf die Barbareninsel hinabblickten, findet kultureller Austausch immer auch mehr oder weniger subtil statt. Zumal ein weltweiter Handel, so auch mit den japanischen Inseln im Entstehen war. Während also das Kaiserreich auf so ziemlich alles und jeden hinabblickte, entwickelte sich China für die Japaner zum großen Vorbild, gar zum großen Bruder. Japanische Herrscher kopierten zahlreiche Errungenschaften der Tang-Dynastie, allerdings häufig auch ohne rechten Sinn und Verstand. Erinnert so manches doch an Cargo-Kulte, die zwar die Gestalt und Form kopieren, aber den Inhalt bzw. Sinn und Struktur nicht verstehen. Vieles was für die entwickelten Tang galt, hatte in Japan noch überhaupt keine Entsprechung. Nichtsdestotrotz sollten die Impulse aus China, die Entwicklung in Japan nachhaltig bestimmen – vor allem auch die des Militärs. Bekam man auf den Inseln doch zunehmend Angst vor den expansionistischen Tang.

chinesische mauer

Doch wie zu erwarten, führte der erste und für lange Zeit auch letzte Konflikt zu einer vernichtenden Niederlage der japanischen Krieger. Und wie so häufig in den chinesisch-japanischen Beziehungen führte eine militärische Niederlage nicht zur vollständigen Abkehr voneinander, sondern paradoxerweise zur Intensivierung der Beziehungen. Wenn man gegen die „Chinesen“ verlor, dann musste man eben die Entwicklungsbemühungen intensivieren, was natürlich auch bedeutete noch mehr von ihnen zu lernen, was den Kulturaustausch, oder besser die „Sinisierung des Alltags“ der Japaner beförderte. Ganz dem „Prozess der Zivilisation“ entsprechend, wurden die Tang-Eliten zum Vorbild. Man kopierte nicht nur Bildung, Religion, Medizin, Handwerk, Technik, Recht und Militär, sondern auch Moden und Alltagsgegenstände wie den Stuhl. Allerdings wurde alles Importierte auch angepasst und spezifisch weiterentwickelt. Das ging soweit, dass für uns so Ur-Japanisches wie der Zen-Buddhismus ein Import aus China war.

Buddha Statue Japan

Moderne und Nationalismus

Die Offenheit gegenüber allem Chinesischen, sollte aber bald einer „Verengung der Horizonte“ weichen. Um sich abzugrenzen und den eigenen Wert zu erhöhen, erfand man schlichtweg eine eigene Tradition und strebte nach Größerem, was zu einer kulturellen Abkehr der Eliten führte. Doch während der herrschende Zeitgeist das Eigene betonte, waren es die Händler und Seeleute die den Austausch weiterhin betrieben. Echte Trennung der beiden Geschwisterkulturen sollte es nie geben. Nicht einmal nachdem Japan, angefacht durch den Kontakt mit Europäern, eine kulturelle wie technisch-wirtschaftliche Revolution erlebte und China weit überholte. Dabei importierten die Japaner nicht nur Techniken, sondern auch Ideologien. Der europäische Nationalismus sollte auch die Beziehungen in Ostasien vergiften. Japan strebte nun nicht mehr China nach, sondern schaute auf die zurückgebliebenen „Chinamen“ hinab. Nun waren die imperialistischen Europäer mit ihren Militärmächten, mit ihren Gewehren und Kanonen, die neuen Vorbilder. Und ganz in der Tradition der Europäer entfachte Japan einen Krieg mit China und besetzte ganze Landstriche. Jede imperialistische Nation brauchte schließlich einen „Platz an der Sonne“.

Und es kam wie es kommen musste, in der Folgezeit sollten die Chinesen, die jetzt überhaupt erst zu Chinesen, einer Nation, wurden, die Entwicklung Japans kopieren. Technisch und kulturell und, wie könnte es anders sein, zu Teilen auch ideologisch mit der Übernahme des Nationalismus. Tausende Chinesen wurden nach Japan entsendet, um an den Hochschulen von den Japanern zu lernen.

„Jedes Land auf dem Globus, so wie England oder Frankreich, hat einen gängigen Namen für das ganze Land. Nur das Reich der Mitte hat keinen», klagte ein chinesischer Gesandter in Japan, Huang Zunxian, um 1880: «Die Japaner nennen uns ‹Shina›; Engländer nennen uns ‹China› und Franzosen ‹Chine›. Aber das sind keine Namen, die wir selbst benutzt haben.“, so Vogelsang in der NZZ.

Selbst den Namen des eigenen Landes importierte China aus Japan. „Denn nicht als ‚Chinesen‘ waren sie nach Japan gereist, sondern als Hunanesen, Sichuanesen, Schanghainesen oder Kantonesen. In Tokio und Yokohama blieben Landsleute unter sich: Sie sprachen ihre eigenen Dialekte, publizierten ihre eigenen Zeitungen, kochten ihre eigenen Süppchen. Auf die Idee, sich gemeinsam als ‚Chinesen‘ zu bezeichnen, wären sie nicht gekommen.“ Enger kann eine Verflechtung kaum sein. Auch fast das „gesamte politisch-soziale Vokabular der Moderne wurde aus dem Japanischen in das Chinesische übernommen.“

Wie Yin und Yang

Man kann das eine Land nicht ohne das andere denken, die Verbindungen und gegenseitigen Beeinflussungen sind so eng, dass eine ausschließende Fokussierung auf ein Land immer unzureichend bleiben muss.

Vogelsang gelingt es mit einer für Akademiker wunderbar lesbaren Schreibweise eine spannende Kulturgeschichte Ostasiens zu präsentieren. Überaus profund erzählt er eine Geschichte jenseits der üblichen Herangehensweise und ergeht sich nicht in endlosen Zahlenreihen oder Namedropping von irgendwelchen Herrschern. Natürlich kommt man nicht darum diese zu erwähnen, aber es ist eben eine Kulturgeschichte und keine Kaiser- und Königserzählung, wie sie so häufig in den Geschichtswissenschaften betrieben wird. Hier stehen die Menschen und ihre Beziehungen im Mittelpunkt, so wie sie sich einander machen. So wie sich gegenseitig bedingen und bezwingen. Besser kann man eine gegenseitige Kulturentwicklung nicht schreiben. Von der Sinisierung Japans über die Japonisierung Chinas, je nach Machtgefälle und zeitlichen Begebenheiten, berücksichtig Vogelsang immer die Interdependenz der Soziogenese der beiden Länder mit ihren vielen Regionen. Besonders hervorzuheben ist, dass Vogelsang nicht in den Gräueltaten versinkt, die sich die beiden Länder gegenseitig im Laufe ihrer Jahrtausende währenden Beziehungsgeschichte angetan haben.

Mit einem sensiblen Gespür benennt er einzelne Verbrechen, die Terror, Mord und Folter sichtbar machen, ohne jedoch darin zu verharren oder gar Emotionen zu schüren. Man könnte fast sagen, ganz wie es Japaner und Chinesen in ihrer Geschichte getan haben. Dabei spielt die jeweilige Motivlage keine Rolle, sondern es ist der Blick auf die Geschehenszusammenhänge, ohne anzuklagen. Der kulturelle Austausch der Menschen geht weiter auch wenn die aktuellen politischen Führungen wieder einmal im nationalistischen Taumel die Unterschiede oder gar Feindschaften betonen. Auch diese Phase wird vorbeigehen und die Gemeinsamkeiten und die Freundschaften werden bestehen bleiben, so wie es bereits seit Jahrtausenden geschieht.

Kai Vogelsangs China und Japan ist ein spannendes, lehrreiches und außergewöhnliches Sachbuch. Hier wird versucht soziale Prozesse aus sich selbst heraus zu verstehen, ohne in einen kolonialen oder moralischen Blick zu verfallen. Eines der besten Bücher zu China (und Japan), die ich bisher gelesen habe und eine ganz klare Empfehlung! Schade, dass dieses Werk nicht für den deutschen Sachbuchpreis nominiert ist. Verdient wäre es.

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China und Japan. Zwei Reiche unter einem Himmel. Book Cover China und Japan. Zwei Reiche unter einem Himmel.
Kai Vogelsang
Sachbuch
Kröner Verlag
2020
Hardcover
528
https://www.kroener-verlag.de/details/product/china-und-japan/
28,00 EUR
9783520256010

Eines der besten Bücher zu China (und Japan). Unbedingt empfehlenswert!