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Herz der Finsternis

Alle paar Jahre lese ich Joseph Conrads Herz der Finsternis. Für mich eines der herausragendsten Bücher aller Zeiten. Als Liebhaber von Francis Ford Coppolas Apocalypse Now ist das auch recht naheliegend. Mittlerweile habe ich so mehrere Übersetzungen kennen, aber nur eine schätzen gelernt. Die beste Übersetzung, oder vielleicht angemessener, die stimmungsvollste Übersetzung hat für mich Daniel Göske geleistet. Diese ist 1991 bei Reclam als klassisches kleines gelbes Büchlein erschienen. Das besondere an dieser Ausgabe sind zudem Anmerkungen, die man nur als äußerst hilfreich bezeichnen kann, ebenso wie das förderliche und hochinteressante Nachwort. Andere Ausgaben lesen sich bereits aufgrund der fehlenden Anmerkungen (und dazu noch teils viel zu modernen) Übersetzungen weitaus unrunder. Nun hat Reclam im Zuge seiner Serie „Phantasiereisen mit Klassikern von Reclam. Die beliebtesten Klassiker in neuer Taschenbuch-Ausstattung.“ auch Joseph Conrads Herz der Finsternis neu aufgelegt.

Das Unerzählbare zeigen

Und da hier nun also mehrere Dinge zusammentreffen, die mir äußerst gefallen, habe ich die Gelegenheit genutzt wieder einmal mit einem Dampfschiff den Kongo entlangzufahren. Conrads Roman ist ein Meisterwerk des Erzählens. Die Reise ins Unbekannte, in die Finsternis eines noch zu entdeckenden Kontinents, in die Finsternis des kolonialen Imperialismus ebenso wie in die Finsternis der eigenen Seele hat alles, was ein großes Abenteuerepos braucht.

Viele aktuelle Autor*innen würden aus dem Material einen mehrere tausend Seiten umfassenden Mehrteiler machen. Alles würde expliziert werden, alles würde mehrfach in unzähligen Varianten durchgekaut, das letzte Detail würde beschrieben werden und nichts, aber auch gar nichts wäre den Leser*innen überlassen – außer die reine Konsumhaltung. Nicht so bei Conrad. Es ist ein Kurzroman, nur 124 Seiten. Und dennoch sind diese wenigen Seiten intensiver und nachhaltiger als die meisten modernen Bestseller.

congo dampfboot herz der finsternis

Joseph Conrad hat den Roman in nur zwei Monaten verfasst – ein Schreibwahn in dem Produktion und Inhalt sich gegenseitig bedingen und eskalieren. 1899 veröffentlicht, fast 10 Jahre nach Conrads eigener Reise zum Kongo, ist der Roman sowohl Reisebericht, Aufarbeitung des autobiografischen Traumas, Abrechnung mit Kolonialismus, Rassismus, Imperialismus und Kapitalismus – verpackt in ein literarisches Kunstwerk, das nur wenig übertreibt, wie Conrad in einem Tagebucheintrag festhielt.

Das Herz der Finsternis ist ein grandioses Spiel mit Worten. Conrad erklärt nicht, er zeigt. Und das nur vage. Das Grauen ist immer da, aber kaum greifbar. Der Horror des Kolonialismus, der Folter, des Mords, der unerzählbaren Grausamkeiten wird nur in Ausschnitten angedeutet. Wo heute in geradezu sadistischer Menschenverachtung der Torture Porn auch in den Mainstream Einzug gehalten hat (man denke an Saw, 24, Game of Thrones oder viel zu viele weitere), verbleibt Conrad im Ungewissen, im Nebel der Deutungen, der ambivalenten Gefühle und dennoch wissen die Leser*innen, was hier passiert. Die Vorstellungskraft obsiegt gegenüber der expliziten Darstellung. Das ist der Unterschied zwischen Kunst und Konsum.

The Horror, the Horror

Der Flussdampferkapitän Charlie Marlow soll den Kongo entlangfahren, um den Elfenbeinhändler Kurtz zu treffen. Dieser sei eine geniale aber vielleicht auch verrückte Persönlichkeit. So vage wie der Ausgangspunkt, so diffus bleiben sowohl Kurtz als auch Marlow – im Grunde der gesamte Kontinent, der gesamte Kolonialismus.

Je tiefer die Reisenden in das fremde Terrain vordringen, desto unmöglicher scheint eine Rückkehr. Zumindest eine Rückkehr als derselbe Mensch als der man losgefahren ist. Die Fahrt auf dem Kongo in die Tiefen des Urwaldes sind das beeindruckendste und bedrückendste was Literatur zu leisten vermag.

Conrads Sprachgewalt steht der hintergründigen physischen wie psychischen Gewalt in nichts nach. Sujet, Person und Sprache verschmelzen zu einem Universum der menschlichen Möglichkeiten. Im guten wie im Bösen.

 

Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Reclam.

 

Für 5,20 Euro gibt es auch noch die gute alte gelbe Mini-Ausgabe von Reclam.

 

Herz der Finsternis Book Cover Herz der Finsternis
Joseph Conrad
Roman
Reclam
8. Oktober 2021
Taschenbuch
166
https://www.reclam.shop/detail/978-3-15-020653-9/Conrad__Joseph/Herz_der_Finsternis
Übers. und hrsg. von Daniel Göske
8,00 €
978-3-15-020653-9

Die beste Übersetzung dieses Jahrhundertromans in schöner neuer Aufmachung!