cover Die Legende der Adlerkrieger

Die Legende der Adlerkrieger

Warnung: Es folgt eine Rezension gespickt mit Superlativen. Jin Yong ist im Westen nicht gerade bekannt. Was allerdings eher für die Ignoranz des westlichen Büchermarkts gegenüber chinesischer bzw. asiatischer Literatur spricht. Denn in Asien kennt Jin Yong jedes Kind. Hunderte Millionen Leser*innen werden seit Jahrzehnten in magische Welten entführt. Von 1955 bis 1972 hat Yong 14 Romane geschrieben und endlich ist sein Meisterwerk auch auf Deutsch erhältlich. Etwas irreführend wird es mit der „chinesische Herr der Ringe“ beworben, was auf eine Bezeichnung der Irish Times zurückgeht. Treffender ist da allerdings die Einordnung des Guardians „Jin Yong hat in der chinesischen Literatur die Bedeutung wie J.R.R. Tolkien, J.K. Rowling und George R.R. Martin in der westlichen.“ Es ist also nicht inhaltlich der chinesische Herr der Ringe, sondern von der kulturellen Bedeutung her. Die Legende der Adlerkrieger ist ein unvergleichliches Epos. Kein Superlativ ist zu viel für diese Wuxia-Trilogie. Kein Buch hat mich in letzter Zeit dermaßen beeindruckt und in andere Welten entführt wie die Legende der Adlerkrieger.

Und es ist eine für uns vollkommen andere Welt. Wuxia ist in China Popkultur. Jede*r weiß was damit gemeint ist, kennt die Helden und Geschichten. Im Kern geht es um „im Wushu bewanderte ritterliche Helden“. Also um Helden der Kampfkünste und des Kung-Fu. Bei uns wären diese Helden vielleicht noch vergleichbar mit den ganzen Marvel und DC Helden, nur, dass diesen die historische Komponente vollkommen abgeht. Denn die Wuxia Erzählungen gibt es bereits seit dem 14. Jahrhundert. Die Wuxia-Romane sind dem Fantasy-Genre nahe, da die Helden durchaus die ein oder andere phantastische Kunst beherrschen. Die bekannteste ist wohl die sogenannte Schwebekunst, die man schon in Filmen wie Tiger and Dragon oder allem voran Hero bewundern konnte. Was für uns auf den ersten Blick seltsam erscheint, ist letztlich nichts anderes als die besonderen Superkräfte der bei uns beliebten Comic-Helden.

Das Wuxia-Universum

Das besondere bei Wuxia ist die tiefe Verankerung in Geschichte und Kultur Chinas. Die Romane sind in die echte Geschichte verwoben und ergänzen echte Personen der Historie mit erfundenen Geschehnissen. Ähnlich wie wir es von Robin Hood kennen, der ja im Übrigen auch geradezu magische Fähigkeiten besaß, als er einen Pfeil mit seinem Pfeil spaltete. In etwa auf dieser Eben muss man Wuxia-Romane verorten. „Chinesische Schwertkämpfer, Schlachten, Soldaten- und Reiterkämpfe, die überwiegend an historischen oder pseudohistorischen Schauplätzen spielen.“ Und über allem schwebt das innere und äußere Kung-Fu. Wobei das äußere die Kampfkunst meint, während das innere Kung-Fu die tatsächliche Bedeutung des gongfu meint: andauernde Anstrengung, um etwas meisterlich beherrschen zu lernen.

Nicht alles erschließt sich den westlichen Leser*innen sofort. Vieles ist dermaßen tief in der chinesischen Kultur verwurzelt, dass es dort keiner Erklärung bedarf, hier allerdings die ein oder andere Frage aufwirft. Die bereits erwähnte Schwebekunst muss man in China zum Beispiel niemandem erklären. Diese fantastisch-magische Kunst, die dem Chi oder Kung-Fu zugeschrieben wird, kennt dort einfach jede*r. Genauso verhält es sich mit Anreden, bestimmten Verhaltensweisen, die „typisch chinesisch“ oder typisch konfuzianisch sind wie z.B. Hierarchien und Meister-Schüler-Verhältnisse. Die kongeniale Übersetzerin Karin Betz hilft mit einem Vorwort und Anmerkungen die gröbsten Hürden zu nehmen.

Einführung in Chinakunde

Wuxia ist eben ein eigenes Universum, dass sich aber stark an die chinesische Geschichte und Philosophie des Daoismus, Buddhismus und Konfuzianismus anlehnt. Man liest bei Jin Yong also nicht nur einen grandiosen Abenteuerroman, sondern lernt zugleich einiges über die Geschichte Chinas und die Besonderheiten von Kultur und Tradition. Wer hier tiefer einsteigen möchte, dem lege ich Maik Albrecht und Frank Rudolphs „Wu. Ein Deutscher bei den Meistern in China“ ans Herz. Durch dieses Sachbuch zum Wushu, zu den chinesischen Kampfkünsten erklärt sich noch einmal eine ganze Menge. Vor allem auch die Beziehung zu den Meistern und der Stellenwert der unterschiedlichen Schulen und die Geheimhaltung des eigenen Kampfstils.

Karte China Jin Song

Aber auch ohne diese Kenntnisse lässt sich Jin Yong ohne weiteres lesen und verstehen, was nicht zuletzt an den ausgezeichneten schriftstellerischen Fähigkeiten Yongs liegt. Von der ersten Zeile an wird man in den Bann gezogen. Einzig ein Blick auf alte Karten ist für die in chinesischer Geschichte weniger Bewanderten recht hilfreich. Der Stil ist wunderbar detailliert, beschreibend und geradezu üppig.

Epischer Abenteuerroman

„Tag um Tag und Nacht um Nacht schwollen die weiten Wasser des Qiantang an, rauschten vorbei an einem Dorf namens Niu unweit der Hauptstadt Lin’an und ostwärts bis zum Meer. An jenem heißen Augusttag leuchteten die Blätter der hohen Talgbäume an seinem Ufer flammendrot.“

Die ersten beiden Sätze. Herrlich.

Die Legende der Adlerkrieger ist der Auftakt zu einer epochalen Trilogie Anfang des 13. Jahrhunderts gegen Ende der Song-Dynastie (960-1279). Die beiden ungeborenen Kinder zweier „Schwurbrüder“ und legendärer Kung-Fu-Kämpfer werden einander in ewiger Treue verbunden. Entweder ebenfalls als Schwurgeschwister oder als Paar. Während die Väter von Soldaten ermordet werden, flüchten die Frauen und Mütter in unterschiedliche Schicksale und damit auch in ganz unterschiedliche Zukünfte ihrer Kinder. Beide Kinder sollen jedoch von herausragenden Kung-Fu Meistern ausgebildet werden, um einstmals ihre Väter zu rächen. Nur leider ist das eine Kind nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte und das andere weiß nichts von seinem Schicksal. Das Abenteuer kann beginnen. Durch die mongolischen Steppen Dschingis Khans, die Provinzen Chinas, den Königshäusern und den vier Windrichtungen mit ihren jeweiligen legendären Kung-Fu-Großmeistern begleiten wir die beiden Kinder auf ihrem Weg durch die Geschichte und das Schicksal Chinas.

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Dabei legt Jin Yong ein rasantes Tempo vor. Eine Schlacht folgt der anderen, entweder ist es ein Kampf der inneren Anstrengung oder ein Kung-Fu-Kampf mit immer neuen Techniken und fantastischen Wendungen. In den kurzen Erholungspausen werden die ganz großen Gefühle transportiert, Familie, erwachende Liebe, Freundschaft, Feindschaft, Verrat, Mord, Jagd und Flucht. Alles was ein großes Abenteuer-Epos bieten muss, wird von Jin Yong brillant eingewoben. Vor allem der doch recht trockene Humor, lockert die Anspannung immer wieder gekonnt auf. Und so wachsen die Kinder heran, so wie unsere Neugier und die Spannung.

Unbedingt mehr davon

Fast 600 Seiten rasen an einem vorbei. Es hätten gerne 6.000 sein können. Aber glücklicherweise ist der zweite Teil bereits auf dem Markt.

Die Leistung der Übersetzerin Karin Betz ist gar nicht hoch genug zu rühmen. Wer sich etwas mit dem Chinesischen auskennt, weiß wie unglaublich schwierig Übersetzungen sind. Die Zeichen haben zahlreiche Bedeutungen, die oft im deutschen keine Entsprechung haben oder Bedeutungen haben, die den deutschen Leser*innen wenig bis gar nichts sagen. Jin Yongs Meisterwerk hat hier eine meisterhafte Übersetzerin gefunden. Ich wünschte Heyne würde hier dranbleiben und alle Werke von Jin Yong und auch andere „Kung-Fu-Romane“ in Zusammenarbeit mit Karin Betz herausbringen.

 

Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Heyne.

 

 

Die Legende der Adlerkrieger Book Cover Die Legende der Adlerkrieger
Die Legende der Adlerkrieger
Jin Yong
Heyne
12. Oktober 2020
Paperback
576
https://www.penguinrandomhouse.de/Paperback/Die-Legende-der-Adlerkrieger/Jin-Yong/Heyne/e545282.rhd
Karin Betz
16,99 EUR
978-3-453-31990-5

Brillanter Abenteuer-Roman, epochales Meisterwerk,  für das kein Superlativ zu hoch ausfallen kann.