cover stadt der tiefe
Steampunk-Krimi:
Jasmin Jülicher
Preis:
12,90

Rezension von:
Bewertung:
3
17. November 2017
Letzte Änderung:17. November 2017

Kleiner, feiner Krimi im Bioshock Setting

Der Hüter: Stadt der Tiefe

Auf Jasmin Jülichers Steampunk Roman Der Hüter: Stadt der Tiefe bin ich durch die Rezension von Mareike auf Bookcrow aufmerksam geworden. Und ebenso wie Mareike lese ich eigentlich keine Krimis. Das ist mir einfach in der Regel zu eintönig, zu stereotyp und auch zu effektheischend. Nun hat aber Der Hüter: Die Stadt der Tiefe ein ungewöhnliches Setting und zusammen mit dem Cover war es eigentlich auch schon entschieden, dass ich den Roman kaufen werde. Als ausgewiesener Liebhaber der Gamesreihe BioShock kehre ich immer wieder gerne in diese Szenarien zurück. Und die Besuche in Rapture sind schon länger her, so dass ich mich gerne in die Tiefen von Biota hab ziehen lassen.

Zwar war mehr Überzeugungsarbeit gar nicht nötig, aber als ich las, dass es sich bei dem Buch um ein Crowdfundingprojekt handelte, freute mich das umso mehr. Denn mittlerweile unterstütze ich etwa ein Projekt pro Monat. Jasmin Jülicher hatte allerdings eine eher ungewöhnliche Plattform bemüht, weshalb das Projekt auch komplett an mir vorbeigegangen war. Aber auch dazu gibt es ja die Bücherblogs, um auf unbekanntere Literatur aufmerksam gemacht zu werden (Danke Mareike!).

Die Stadt der Tiefe

Jülichers Roman ist eine Genremix aus Krimi, Steampunk, Thriller, Fantasy, Horror, kurz: es ist Phantastik. Im Laufe des 19. Jahrhunderts ist es zu einem ersten und auch letzten Weltkrieg gekommen. Der kapitalistische Wettbewerb führte nicht nur zum ökonomischen Verdrängen, sondern zur physischen Vernichtung des Gegners. Aus wirtschaftlichen Konkurrenten waren Kriegsgegner geworden. Und wie im ökonomischen Zentralisationsprozess eignete sich ein Konzern die Welt vollends an.  Hauptkriegsmaschinen waren die Golems, eine Art Roboter und Arbeitsmaschine. BioShock-Spieler werden sicherlich Anleihen bei den Big Daddys erkennen. Lediglich ein Konzerneigner erwies sich als weitsichtig und erschuf eine Zuflucht. Verborgen in den Tiefen des Atlantiks. Auf dem Boden des Meeres entstand die letzte frei Stadt Biota.

Ein Zufluchtsort, ein aufgeklärter Ort, frei von Gewalt, der Vernunft und Wissenschaft verpflichtet. Getreu dem Motto von Biota „Scientia – Forschung. Vertrauen. Einigkeit.“ Hier sollen die Menschen in Frieden und Zuversicht leben können. An so ziemlich alles wurde gedacht. Die Wissenschaftler haben ihre Labore und Forschungseinrichtungen und die Nicht-Wissenschaftler haben Vergnügungszentren, Sporteinrichtungen, Bars – was das Herz in der Freizeit so begehrt. Dadurch wird auch das Kastensystem nicht als problematisch wahrgenommen. Ein wahres Unterwasser-Utopia in Zeiten der despotischen Weltherrschaft.

Doch plötzlich geschieht ein Mord. Und Morde sollten in Biota unmöglich sein. Die Bewohner waren nach ihrem Charakter ausgewählt, ihre Gedächtnisse wurden gelöscht und sie wurden mit den modernsten wissenschaftlichen Methoden „angepasst“. Gewalt sollte suspendiert sein. Und doch, ein Mord. Jülicher lässt den obersten Hüter, der eigentlich lediglich eine symbolische Funktion in Biota einnehmen sollte, zum Ermittler werden. Etwas, worauf weder Biota noch der Hüter vorbereitet sind. Und mit der Suche nach dem Mörder, werden auch die wohlbehüteten Geheimnisse der Stadt in der Tiefe aufgedeckt. Und so wird aus Utopia Dystopia.

Ein Krimi bleibt ein Krimi

Was folgt ist dann allerdings wieder eine recht normale Kriminalgeschichte mit all den gewohnten Stereotypen und Effekthaschereien. Allerdings glänzt Jülichers Roman auch mit einigen Highlights. Sie verwebt reale Ereignisse und Personen des Jahres 1888 mit ihrer fiktiven Geschichte, was ich als äußerst gelungen und geistreich empfunden hab. Bis hierhin ist es also ein angenehmer Krimi mit einem tollen Setting und schönen Ideen. Nun kommt allerdings das große Aber.

Es gibt einfach zu viele Logikfehler und Unstimmigkeiten in der gesamten Geschichte. Vorab: es hat mir trotzdem Spaß gemacht, das Buch zu lesen, allerdings mit einem großen Crowdfunding-Bonus. Einem Verlagsbuch würde ich das nicht durchgehen lassen. Und hier hätte meiner Meinung nach auch das Lektorat eingreifen müssen. Lektorieren ist ja nicht lediglich korrigieren, sondern eben auch auf Fehler im Plot oder Logikprobleme hinzuweisen. Macht es zum Beispiel Sinn 12-jährige nach ihren charakterlichen Eigenschaften einzuschätzen? Entwickelt sich die Persönlichkeit eines Menschen nicht gerade erst während der Adoleszenz? Wie kann in einer Stadt, die von einem Rat geführt wird, ein Oberster „derjenige mit der meisten Macht“ sein?

Auch wird der Fall nur augenscheinlich oder vordergründig gelöst, es bleiben aber viele Fragen und Widersprüche offen. Nicht zuletzt das Motiv bleibt ungeklärt. Aufgeworfene Rätsel finden keine Lösung. Und auch die Mordfälle selbst ergeben am Ende gar keinen Sinn. Vieles ist nur angedacht aber nicht bis zu Ende geführt. Nun kann man einwenden, es wird noch Folgebände geben, aber es sollte dennoch ein abgeschlossener Fall sein. Und das ist er in meinen Augen nicht.

Die Idee mehrere literarische und reale Vorlagen aufzunehmen und zu verweben finde ich klasse und gelungen. Aber leider ist das Buch für mich eher eine Rohfassung, die noch ein Diamant hätte werden können. Und was mir persönlich regelrecht missfällt, ist die Konstruktion, dass sich Prostituierte freiwillig hingeben für „Reichtum und Ansehen“. Auch wenn in dieser Gesellschaft die sogenannten Aphroditen hoch angesehen sein sollten (warum sollten sie das eigentlich in einer aufgeklärten, wissenschaftlichen Gesellschaft sein), bleibt für mich damit das vollkommen verklärte Bild von Prostitution verbunden. Das hätte man literarisch auch anders lösen können.

Für ein Crowdfunding Debüt ist es sicher ein kurzweiliger Krimi mit einigen schönen Ideen, insgesamt ist es mir aber zu unrund, als dass ich eine klare Empfehlung aussprechen könnte. Wer also eine junge Autorin unterstützen und sie von ihren Anfängen an begleiten möchte, sollte zweifelsohne zuschlagen, denn ich erwarte natürlich auch, dass es spannend weitergeht und die Autorin mit ihren Werken wächst. Wer allerdings hohe Ansprüche stellt, wird enttäuscht werden und sollte lieber warten, bis Jasmin Jülicher ihre Romane in einem kleinen feinen Verlag veröffentlicht.

 

Jasmin Jülicher
Der Hüter: Stadt der Tiefe
Taschenbuch
328 Seiten
Verlag: Nova MD
Preis: 12,90
ISBN-13: 978-3961114856