cover Nichts wird sich niemals nirgendwo ändern

Nichts wird sich niemals nirgendwo ändern

Auf den Ventil Verlag bin ich über Pia Klemps neuen Roman „Entlarvung“ gestoßen. Und im Programm habe ich dann die wunderbare Autonomografie von Yok gesehen. Da mich Quetschenpaua zu einem guten Teil musikalisch sozialisiert hat, habe ich mir auch umgehend die Biografie bestellt. Und wie es der Zufall so will, hat mir der Verlag nicht Yok geliefert, sondern Jan Off „Nichts wird sich niemals nirgendwo ändern“. Eigentlich wollte ich den Roman sofort umtauschen. Wer ist denn bitte Jan Off? Aber nach einem Blick auf den Klappentext und eine kurze Internetrecherche war meine Neugierde geweckt. Und wie das Leben manchmal so spielt, bin ich durch Zufall auf einen echten Geheimtipp gestoßen. Yok habe ich natürlich nachgekauft und wird hier demnächst folgen. Und auch von Jan Off habe ich mir Nachschub besorgt.

Ebenso wie Pia Klemps Roman ist auch Jan Offs Geschichte eine szenetypische Erzählung. Man kann es für die Zukunft auch abkürzen: der Ventil Verlag ist u.a. ein Verlag für Bücher jenseits des Mainstreams und für Subkulturen. Und das ist angesichts von viel, viel Einheitsbrei, der immer mehr um sich greift, auch dringendst geboten. Natürlich ist auch bei Jan Off das Gleiche anzumerken, wie bei Pia Klemp, dass es sich im Wesentlichen um einen Roman zur Selbstvergewisserung handelt. Bei Off kommt aber alles weitaus gelassenerer daher. Hier regiert nicht der erhobene Zeigefinger, hier steht die Unterhaltung klar im Vordergrund, ohne sein Sujet jedoch zu verraten.

Alsters burning

Wenn die Ohnmacht zu groß wird, wird es Zeit zur Selbstermächtigung. Handlungsunfähigkeit in Bezug auf die Weltgeschehnisse – Faschisierung der Gesellschaft, Umweltzerstörung, massenhaftes Sterben in Mittelmeer und Wüsten – muss mit direkter Aktion im nahen Umfeld kompensiert werden. Da es in Hamburg keinen Kuhdamm gibt, wird sich ein anderes Ziel gesucht. Vier Freund*innen beschließen die Weihnachtstanne auf der Alster mit Feuer und Flamme zu bekämpfen. Und wie man ja allgemein so weiß, ist eine verrückte Idee schnell geboren, doch an der Umsetzung hapert es dann etwas. Aber man wächst ja mit seinen Herausforderungen und so macht sich die mehr oder weniger klandestine Arbeitsgruppe an die Planung. Was braucht es eigentlich alles für eine so große Fackel? Und wie transportiert man die richtige Nachricht? Wie sorgt man dafür, dass keine Menschen zu Schaden kommen?

Symbol_der_bigotterie

Symbol der Bigotterie und Stein des Anstoßes: Weihnachtsbaum auf der Binnenalster

Zu jeder ordentlichen linken Propaganda der Tat gehört aber natürlich auch eine gehörige Portion Ausdiskutieren. Und so werden die Leser*innen mitgenommen auf eine Tour de Force der Gedanken und Taten, des Banalen, des Notwendigen, des Absurden, des technisch Machbaren und des Verzweifelten. Nichts im Roman spiegelt etwas Besonderes wider, alles ist im Alltäglichen des links-alternativen oder linksradikalen Milieus wiederzuentdecken. Mal mehr mal weniger stereotyp. Da sich „Nichts wird sich niemals nirgendwo ändern“ an keiner Stelle selbst zu ernst nimmt, verfällt das Buch auch nicht in Agitation oder Handlungsanleitung – höchstens zu: „Stell dir das doch mal vor!“

Lesespaß mit der Hasskappe

Immer wieder gibt es Einschübe aus dem (Demo)Alltag einer emanzipatorischen antifaschistischen Linken. Die Szenen kennt im Prinzip jede*r, weshalb sich die Leser*innen hier auch schnell wiederfinden und gleichzeitig wieder einmal selbstvergewissern. Und natürlich tragen die Abschnitte auch zur Emotionssteigerung bei, um es mal vorsichtig auszudrücken. Schriftstellerisch fand ich vor allem die Auszüge aus dem Tagebuch eines, ich nenne ihn jetzt mal Pick-up-Stalker, dermaßen authentisch und aufwühlend, dass einem schon Angst und Bange werden kann. Aber auch insgesamt kann man nur konstatieren, dass Jan Off Schreiben kann. Ein geradezu süffiger Leseflow stellt sich ein.

„Nichts wird sich niemals nirgendwo ändern“, hat riesig Spaß gemacht zu lesen. Nicht alles muss mit der Brechstange daherkommen. Oder mit dem Molli. Einzig die immer wieder eingeschobene hashtagisierung fand ich recht erzwungen. Aber Jan Off ist eben auch ein Jugendlicher über 30.

 

Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt beim Ventil Verlag.

 

Nichts wird sich niemals nirgendwo ändern Book Cover Nichts wird sich niemals nirgendwo ändern
Jan Off
Roman
Ventil Verlag
11.11.2020
Hardcover
176
https://www.ventil-verlag.de/titel/1876/nichts-wird-sich-niemals-nirgendwo-andern
18,00 €
978-3-95575-136-4

Auch linke Weltverbesserer brauchen zwischendurch gute Unterhaltung. Eine absolute Lesefreude!