Die beste Depression der Welt
Ich kannte Helene Bockhorst bisher nicht, auch wenn sie laut 3sat der brandaktuelle Shooting Star der Bühnenunterhaltung sein soll. Aber vermutlich kenne ich sie genau deswegen nicht. Comedy ist so ziemlich das Letzte, was mir eskapistisch einfallen würde. Noch schlimmer ist nur noch Poetry Slam. Ausgerechnet die komödiantische Wurzel von Bockhorst. Als Comedienne ist ihr Programm wohl das „Tabubrechen“ mittels Thematisierung von Sex und psychischen Erkrankungen. Da muss man aber auch noch schnell das Tabu konstruieren, das gebrochen werden will. Wer redet denn heute bitte nicht über Sex? Nun hat Bockhorst einen Roman geschrieben und wenig überraschend geht es um psychische Erkrankungen und Sex. Genau genommen geht es um die Depression der Protagonistin, die unter anderem mittels Promiskuität bewältigt werden will. Mir graust. Letztlich überrascht mich Helene Bockhorst‘s Debüt „Die beste Depression der Welt“ dann aber doch.Ich rede nicht lange um den Brei herum, der komödiantische Teil des Romans ist gruselig. Na klar, Humor ist Geschmackssache, aber Comedy ist eben häufig banal, infantil, peinlich oder schlicht. Simple Assoziationen, einfache Wortspiele, ein paar Wörter sagen, die man ja sonst nicht sagt und schon ist der generische Klamauk unter die Leute gebracht.
Auf den Tiefpunkt bringt es übrigens der Buchtrailer selbst
Kurz: ich habe nicht ein Mal gelacht beim Lesen. Aber immerhin einige Male geschmunzelt. Genauso ging es mir übrigens auch beim nachträglichen Anschauen einiger Clips von Bockhorst auf youtube. Kein Lachen, aber Schmunzeln. Allerdings habe ich dabei auch einige der „Gags“ wiederentdeckt. Offensichtlich hat einiges vom Bühnenprogramm in leicht umgewandelter Form seinen Weg ins Buch geschafft. Sei‘s drum. Bis hier klingt es viel schlimmer, als es tatsächlich ist.
Sehr ambivalentes Debüt
Bockhorst‘s Alter Ego ist Vera, quasi gleich alt und mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Vera soll einen Ratgeber über Depressionen schreiben, was ihr allerdings nicht gelingt, denn sie hat Depressionen. Im Wesentlichen handelt es sich um ein episodisches Werk auf Veras Weg durch die Depression. Was kann man nicht alles gegen Depressionen unternehmen in einer Gesellschaft, die alles zu vermarkten weiß. Man kann natürlich zum Psychiater oder Therapeuten gehen, man kann Yoga machen, meditieren, Schamanen aufsuchen und vieles mehr. Dieser Teil ist leidlich unterhaltsam und plätschert so vor sich hin. Man liest es halt so weg und schmunzelt. Wirklich schlecht sind die Stellen an denen es um Sex geht. Sex zum Prokastrinieren, Sex zum Ablenken, Sex zum Betäuben, Sex um überhaupt mal was zu fühlen. Promiskuität geht mit einigen psychischen Erkrankungen einher und ist eine ganz üble Komorbidität. Lustig ist daran gar nichts. Aber wie das beim Witz halt so ist, hat er eben auch kathartische Wirkungen und kann als Bewältigungsstrategie eingesetzt werden. Ein Tanz auf dem Drahtseilakt, der für meinen Geschmack misslingt. Aber angesichts anderer Rezensionen, gibt es dafür ganz offensichtlich ein Publikum.
Wirklich gut und stellenweise großartig wird das Buch da, wo Bockhorst vermutlich aus eigener Erfahrung spricht und Depression als alltäglich zu bewältigende Herausforderung beschreibt an der man täglich scheitern kann. Und auch ständig scheitert. Es ist nicht nur die Beschreibung des Rückzugs der Emotionen von der Welt, um sie ganz auf sich selbst zu richten, um wenigstens noch zu überleben, sondern vor allem der Entstehungszusammenhang. Depressionen gehören zu den affektiven Störungen und können als Episoden auftreten oder als Rezidivierende depressive Störungen. Und Bockhorst gelingt es, den Einfluss anderer Menschen auf die eigene Entwicklung der Gefühle und Persönlichkeit außergewöhnlich zu beschreiben. Veras Depressionen liegen zu einem erheblichen Teil in ihrer familiären Geschichte begründet und das wird schonungslos, direkt und explizit ausgeführt. Man kann schon fast das Lehrbuch Psychiatrie daneben legen, um abzuhaken, was man als Eltern alles falsch machen kann oder andersherum, was muss man als Eltern alles anstellen, um definitiv sein Kind in die Depression zu treiben.
Nicht Fisch, nicht Fleisch
Dabei geht es natürlich nicht um Schuldzuweisung, was würde das auch bringen, man würde doch wieder nur bei den Eltern der Eltern landen, usw. bis in alle Ewigkeit. Es sind nun mal die Eltern (bzw. die ersten Bezugspersonen) die den Grundstein für die Psyche ihrer Kinder legen. Und wenn die Eltern schon psychisch auffällig sind, dann wird das für die Kinder kein einfacher Start. Natürlich sind das keine Kausalitäten, aber es sind Strukturen, aus denen man auch nicht ohne weiteres ausbrechen kann. Warum das so ist, kann man zum Beispiel bei Bockhorst nachlesen.
Das Buch lässt mich recht zwiespältig zurück. Als lustige Unterhaltungsliteratur funktioniert es für mich überhaupt nicht. Als Beschreibung von Depressionen und vor allem dem Zusammenspiel von eigener Psyche und der Entwicklungsgeschichte selbiger ist es stellenweise großartig. Am Ende ist es dann vermutlich ein ganz gutes Buch, mehr aber auch nicht.
Wer jedoch den Humor von Helene Bockhorst kennt und mag, der wird sicherlich voll auf seine Kosten kommen, so denn der ernste Teil entsprechend wertgeschätzt werden kann.
Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Ullstein.

Roman
Ullstein
30.03.2020
Hardcover mit Schutzumschlag
320
https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/die-beste-depression-der-welt-9783550200762.html
20,- €
9783550200762

Nicht Fisch, nicht Fleisch, aber stellenweise sehr lesenswert.