Kompendium der Chronologie
Der großartige Kosmos Verlag hat zwei neue Bücher im Astronomie Bereich herausgebracht. Heute soll es um das „Kompendium der Chronologie“ gehen. Später folgt noch „Die Evolution des Universums“. Auch wenn meine Interessen äußerst differenziert und weitgefächert sind, sind es doch immer wieder die Astronomie und Astrophysik, die mich besonders begeistern können. Wie man bei Von der Vermessung des Kosmos lesen kann, sind es nicht zuletzt die Bewusstseinsgrenzen sprengenden Maßstäbe, mit denen man es im Universum zu tun hat, die eine besondere Faszination auf mich ausüben. Ähnliche Begeisterung kann das Phänomen Zeit bei mir auslösen, welches ich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive reichlich in meinem Studium bearbeitet habe. Hans-Ulrich Keller, der bei (Hobby-)Astronomen vor allem für sein „Kosmos Himmelsjahr“ bekannt ist, hat seine Vorlesung zur Chronologie zu einem „Kompendium der Chronologie“ ausgearbeitet. Wie immer bei Kosmos erhält man ein hochwertiges Buch, das allerdings unbedingt richtig eingeordnet werden muss, um nicht enttäuschte Erwartungen bei den Leser*innen zu erzeugen.
Akademisches vs Populär Wissen
Denn inhaltlich ist das Kompendium, wie nicht anders zu erwarten, hervorragend. Allerdings schießt das Marketing an der ein oder anderen Stelle über den tatsächlichen Inhalt hinaus. Im Wesentlichen muss man sich einfach nur an den Titel halten. Es geht um Chronologie, um die Wissenschaft von der Zeitmessung und -rechnung. Insofern ist der Hinweis auf dem Buchdeckel „vom ägyptischen Kalender zur Atomuhr“ zutreffend und zielführend. Weniger hilfreich ist allerdings der Untertitel: Eine Einführung in die Wissenschaft von der Zeit. Denn das leistet das Kompendium nicht oder nur am Rande. Das „Rätsel Zeit“ wird nicht in seinen grundlegenden Phänomena analysiert, sondern aus historisch-astronomischer Perspektive beschrieben. Und das reicht auch vollkommen aus. So hätten auch die marginalen Zusätze, die sich mit der Zeit in der Physik und der Chronobiologie beschäftigen, nicht sein müssen. Die wirken weniger fachkundig und fehl am Platz.
Beeindruckend sind hingegen die Ausführungen zu den astronomischen Grundlagen der Zeitbestimmung. Hier fühlt man sich schnell wie in einem Hauptseminar zur Astronomie. Das führt zwar zu äußerst profunden Informationen, erfordert aber auch ein gewisses Maß an Vorwissen. Didaktisch scheint es mir nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit zu sein. Was vermutlich auch am anachronistischen Format der Vorlesung liegen könnte. Die illustrative Bebilderung ist von Kosmos wie immer exquisit, aber die Schaubilder sind manchmal doch arg unübersichtlich. Die Detailverliebtheit, sowohl bei den Bildern als auch bei Formeln und Zahlen entspricht eher einem Lehrbuch, was laut Keller aber gar nicht das Ziel des Kompendiums ist. Als Erweiterung des astronomischen Wissens ist es demnach gelungen, als allgemeinverständliches Kompendium zur Chronologie kann ich es beim besten Willen nicht bezeichnen. Hier besteht einfach ein frappanter Unterschied zu anderen Büchern aus dem Kosmos Verlag, die von Wissenschaftsjournalisten wie Thorsten Dambeck oder Thomas Bührke, geschrieben wurden.
Sehr ungleiche Kapitelverteilung
Die weiteren Abschnitte „Kalendersysteme“, „Zeitskalen“ und „Zeitmessung“ sind zwar ebenso (zu) Detail- und Grundlagenverliebt, finden aber einen ausgewogeneren Sprach- und Darstellungsstil. Gerade die historischen Ausführungen, ein ja ganz wesentliches Kaufargument, sind dann wirklich gut gelungen. Die tabellarischen Darstellungen hätten gut und gerne schlanker ausfallen können. Der Mehrwert wird da auch nicht immer deutlich. Zwiegespalten bin ich auch beim Abschnitt „Zeit in der Physik“. Warum solch hochinteressante und wichtige Aspekte auf sieben (!) Seiten abgehandelt werden, erschließt sich mir überhaupt nicht. Die Relativität der Zeit auf drei Spalten? Klar, kann man machen, kann man dann aber auch gleich lassen. Die letzten beiden Kapitel scheinen mir einfach nur „der Vollständigkeit halber“ hintendran gehängt zu sein. Das ist schade, da es andere Erwartungen weckt. Hätte man diese weggelassen, müssten sich die Leser*innen auch nicht über die Knappheit der Information oder deutlicher die Sinnlosigkeit der Kapitel ärgern.
Als profunde, aber auch anspruchsvolle Einführung in die Chronologie (!) ist es ein absolut zu empfehlendes Werk. Als Einführung in die Wissenschaft von der Zeit wäre es hingegen eher enttäuschend. Aber zur Erinnerung: es handelt sich ja schließlich auch um eine Lehrveranstaltung zur Chronologie an der Universität Stuttgart im Institut für Raumfahrtsysteme.
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Sachbuch
Kosmos
22. Dezember 2022
Gebundene Ausgabe | 40 Farbfotos, 25 SW-Fotos, 86 Farbzeichnungen
256
https://www.kosmos.de/buecher/ratgeber-naturfuehrer/astronomie/bildbaende-sachbuecher/17568/kompendium-der-chronologie
34,00 €
9783440175859

Profundes Kompendium der Zeitmessung