Gegen den Hass
Wer sich auch nur ein wenig im Internet bewegt, weiß es schon lange: die Menschenfeinde versuchen lautstark, organisiert und hemmungslos ihren Hass als die wahre Meinung des Volkes, die aufrichtige Mehrheitsmeinung zu verkaufen. Dass es diesen rechten bis rechtsextremen Rand in jeder Gesellschaft gibt, ist nichts Neues. Dass diese fanatische Minderheit bis zu 20 Prozent der deutschen Gesellschaft ausmacht, könnte man auch seit Jahren wissen, wenn man die entsprechenden Studien verfolgt hätte. Hier haben die bürgerliche Mitte und die Verteidiger der offenen Gesellschaft schlichtweg zu lange weggeguckt. Die autoritären Charaktere mit ihrer Radfahrermentalität (Erich Fromm), nach oben buckeln und nach unten treten, die preußischen Untertanen, versuchen den Diskurs zu okkupieren und ihre Meinung als mehrheitsfähig in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren.Obsessiver Hass
Erst mit dem Erstarken von Pegida und AfD wacht die im Konsum erstarrte offene Gesellschaft langsam auf. Erst mit dem Rückfall zahlreicher Deutscher in den völkischen Hass-Habitus schrecken Intellektuelle wie Carolin Emcke oder Harald Welzer auf. Es ist dringend an der Zeit die offene Gesellschaft zu verteidigen und sich klar und deutlich als Mehrheitsgesellschaft gegen den Hass zu positionieren. Emckes Plädoyer trifft den Kern der Debatte, was die Reaktionen der besorgten Bürger (u.a. in Amazon Rezensionen und Kommentaren) eindringlich bestätigen. Der Hass ist obsessiv geworden. Und seit geraumer Zeit werden aus den Worten auch Taten. Was Sarrazin, Pirinçci, Don Alphonso (Rainer Meyer), Höcke und sonstige Protagonisten der Neurechten sprachlich und gedanklich vorbereiten, führen die Hohlköpfe der neuen SA, die Hooligans, Kameradschaften, Freundeskreise und wie sich die rechtsextremen Gewaltaffinen auch nennen mögen, auf den Straßen aus.
Mehr noch, muss man hinzufügen, sie sind sich in der Sache einig, lediglich die Methoden halten sie für falsch. Es ist diese Allianz der Hetzer mit dem Mob, die das gesellschaftliche Gefüge gefährden und der Menschenfeindlichkeit den Nährboden bieten. Carolin Emcke beginnt „Gegen den Hass“ mit genau solch einer Melange aus Worten und Taten. Clausnitz, wiedermal ein deutscher Ort, nach den überwunden geglaubten 90er Jahren, der zu einem Symbol des Hasses geworden ist.
Rassismus
Als zweites Beispiel für „Hass und Missachtung“ führt Emcke den institutionellen Rassismus in den USA an. Es ist ein Beispiel, exemplarisch und nicht der Fingerzeig auf andere. Der institutionelle Rassismus ist kein Problem der USA, dort hat er lediglich eine spezifische Geschichte mit einer spezifischen und nicht einfach übertragbaren Ausprägung. Aber die Strukturen des Rassismus, die Missachtung des Lebens, die Menschenfeindlichkeit sind sehr wohl auch bei uns auszumachen.
Der Mord an Eric Garner und sein Ausruf „This stops today“ ist Warnung, Mahnung und Aufforderung an alle Demokraten sich den Hass entgegenzustellen. Wie Harald Welzer es in „Wir sind die Mehrheit“ schrieb: Die Weimarer Republik scheiterte nicht, weil sie zu viele Feinde hatte, sie scheiterte, weil sie zu wenig Freunde hatte. Ebenso wie Welzer ruft Emcke dem Leser zu: Werdet Freunde der offenen Gesellschaft! Stellt euch gegen den Hass! Wir sind die Mehrheit!
Der zweite Teil des Buches ist der Versuch den Kern der völkischen Ideologie, wie sie im Rassismus, bei Pegida, AfD und Neurechten gepflegt wird, aufzudecken: Homogen, Natürlich, Rein. Die Dreifaltigkeit der Einfältigkeit. Die Nähe von Neurechten, besorgten Bürgern und Islamisten wird hier besonders deutlich. Die Fundamentalisten sind immer gegen das vermeintlich Unnatürliche, das Unreine, die Biologisierung der eigenen Ideologie, der eigenen Ressentiments. Menschenfeinde sind Menschenfeinde – auch wenn sie es, geblendet von ihrem Hass, nicht erkennen werden.
Emcke schließt das Buch mit dem dritten Teil, einem Plädoyer für den Pluralismus, die offene Gesellschaft. Hinter allem steht die Mahnung Eric Garners: Es muss heute aufhören! Der Hass muss aufhören.
Während der erste Teil des Buches im journalistischen Stil geschrieben ist, dominiert im zweiten und dritten Teil ein philosophisch-akademischer Ton. Hierdurch wird meines Erachtens Potenzial verschenkt. Solche Bücher bedürfen einer großen Reichweite. Dass die besorgten Bürger das Buch nicht lesen werden, versteht sich von selbst. Aber die Mehrheitsgesellschaft besteht nicht nur aus Akademikern und Intellektuellen. Das ändert aber natürlich nichts an der Wichtigkeit des Buches und der trefflichen Analyse und Argumentation.
Mehr Informationen inklusive Leseprobe beim S. Fischer Verlag.
Carolin Emcke
Gegen den Hass
Hardcover
Preis 20 €
240 Seiten
Verlag: S. Fischer
ISBN: 978-3-10-397231-3