Sprachen
Sprache ist die Welt, wie sie von Menschen erfahren wird. Diese Kernaussage der Symboltheorie des Klassikers der Soziologie Norbert Elias ist eine der bedeutendsten Erkenntnisse der conditio humana. Im Wesentlichen bedeutet es, dass Menschen nur das erfahren (und kommunizieren) können, was als Symbol in ihrer Sprache vorhanden ist. Gleichzeitig bedeutet es auch, dass Gesellschaftsstruktur, Sprachstruktur und Persönlichkeitsstruktur sich gegenseitig beeinflussen. Je differenzierter also das Sprachvermögen einer Gesellschaft oder eines Individuums ist, desto differenzierter ist auch die erfahrbare Welt. Wir kennen alle das Schwarz-Weiß-Denken, was eben alle Differenzen in einfachen, simplifizierenden und pauschalisierenden Begriffen einebnen will. Man denke nur an den Begriff der Nation. Ein wesentliches Identifikationsmerkmal von Nationen soll dabei die Sprache sein, die ein „Volk“ in einer Sprachgemeinschaft vereint. Wie beliebig, diese Grenzziehungen aber sind und wie sehr sich Sprachen ähneln, wie sehr sie sich gegenseitig beeinflussen, dem gleichen Stamm entspringen oder sich einfach nur aufgrund der willkürlichen Grenzziehungen auseinanderentwickelt haben, kann man in Gaston Dorrens „Sprachen“ nachlesen.
Sprachgeschichte(n)
Dorrens verbale Reise durch Europa, ist ein äußerst unterhaltsamer Abriss der Sprachwissenschaften ohne dabei jemals als wissenschaftliches Werk gelten zu wollen. Es ist ein Sachbuch, dass Spaß an Sprachen vermitteln und gleichzeitig informativ sein will. Und beides gelingt wunderbar. Dabei zeigt sich immer wieder: Sprache ist nicht das trennende, sondern das vereinende Merkmal. Nationalismus hingegen ist das zerstörerische Element wie Dorren an der ehemaligen Wissenschaftssprache „Deutsch“ eindrücklich aufzeigt:
Und so ist die Geschichte der Sprachen zugleich auch immer Welt- und Kulturgeschichte sowie Landeskunde. Und so erfährt man quasi im Vorbeigehen was eigentlich der Begriff „deutsch“ bedeutet, woher Kauderwelsch und Rotwelsch kommen oder welche Begriffe wir unbedingt aus anderen Landessprachen übernehmen sollten, z.B. aus dem Luxemburgischen.
Dieses Wort geht definitiv in meinen Wortschatz über. Und wäre es nicht etwas zu kompliziert auszusprechen würde ich auch das slowenische „vrtíčkar“ übernehmen. Wortwörtlich übersetzt bedeutet es Schrebergärtner. Aber es hat auch noch eine weitere sehr nützliche Konnotation.
Und aus dem Ungarischen sollten wir Madárlátta übernehmen. Ein „Essen, das von zu Hause mitgenommen und ungegessen wieder dorthin zurückgebracht wird.“ Ein Phänomen, das Familien von jedem Ausflug kennen dürften.
Eine verbale Reise und kein Proseminar
Wer Gaston Dorrens „Sprachen“ an der Wissenschaftlichkeit messen will, missversteht den Sinn des Buches und geriert sich als Sprachwächter. Hier geht es nicht um die hundertprozentige Genauigkeit. Hier werden auch mal Nebenbedeutungen in den Vordergrund gerückt. Es wird nicht der Kanon der Sprachwissenschaft rezitiert, sondern die Kuriositäten beleuchtet und eher das große Ganze als das Präzise bedacht. Natürlich kann solch ein Buch nur anekdotisch in die jeweiligen Landessprachen einführen. Es geht um Phänomene, Besonderheiten, Ungewöhnliches und Unterhaltsames. Aber genau das macht ja auch die Kurzweil von „Sprachen“ aus. Wer sich also für Sprachen begeistern kann, wird mit Gaston Dorrens Werk seine Freude haben.
Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Ullstein.

Sachbuch
Ullstein
10.03.2017
Hardcover, Klappenbroschur
368
https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/sprachen-9783550081675.html
Juliane Cromme
18,00 €
9783550081675

Wer sich für Sprachen begeistern kann, wird mit Gaston Dorrens Sprachen seine Freude haben.