Die Wächter
Die Wächter war ebenso wie „Die dreibeinigen Herrscher“ eine Miniserie, die in den 80er Jahren im ZDF ausgestrahlt wurde. Beides sind Verfilmungen von Büchern John Christophers. In den 80ern boomten Dystopien, düstere Science-Fiction und fatalistische Gesellschaftsvisionen. Christopher erwies sich dabei als äußerst weitsichtig, sind seine Romane doch bereits Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger entstanden. Beide Serien und vor allem beide Bücher (Tripods ist freilich eine Trilogie), haben bei mir einen sehr bleibenden Eindruck hinterlassen. Als gerade Heranwachsender, irgendetwas zwischen Kindheit und Jugend, kannte ich nichts Vergleichbares. Hier wurde nicht die heile Welt gezeigt, keine Hollywood-Komödien oder deutsche Vorabendserien. Man darf nicht vergessen, Mitte der 1980er Jahre gab es noch kein Privatfernsehen (bzw. hatte das noch lange nicht jeder). Es gab die paar öffentlich-rechtlichen Fernsehsender und das war es. Entsprechend waren auch die Sehgewohnheiten derjenigen, die damit aufwuchsen.
Für mich kann ich ohne weiteres sagen, dass die Verfilmungen von John Christopher geradezu Offenbarungen waren. Mit Sicherheit auch ein Grund dafür, warum ich immer noch Science-Fiction und Dystopien liebe. Und wie das damals mit dem Fernsehen so war, hat man sowieso nie alle Folgen einer Serie gesehen. Man hatte eben nicht immer die Zeit dazu. Und so hat man auf die Wiederholungen im nächsten Jahr gewartet – nur um dann wieder die ein oder andere Folge zu verpassen. Glücklicherweise waren es ja Verfilmungen und so konnte ich auf die Bücher zurückgreifen. Im Zuge meiner Nostalgiewelle habe ich mir dann auch noch einmal die Miniserie auf DVD gekauft und natürlich auch das Buch (die Ausgabe, die ich als Jugendlicher gelesen hatte, hat die diversen Umzüge oder auch Mitbewohner nicht überlebt).
Elite und Masse
Die Wächter gibt es nur noch auf dem Gebrauchtbuchmarkt. Geradezu ein Skandal, dass solch ein Jugendbuch nicht neu aufgelegt wird. Warum Skandal? Weil es nicht bloße Unterhaltung ist, sondern eine Mahnung, ob der Entwicklung gesellschaftlicher Verhältnisse. Dem Buch liegen, ob das Christopher nun gewusst hat oder nicht, einige wesentliche psychologische Erkenntnisse zugrunde. Es geht um Vorurteile und Ressentiments, um Ideologien als Potenzial zur positiven Veränderung von Gesellschaft aber auch zur blinden Destruktivität und es geht um das Thomas-Theorem: „Wenn Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren Konsequenzen real.“ Es geht um Massenkultur und Konsum, um totale Herrschaft und die Verabsolutierung der Klassengesellschaft in der Aristokratie. Es geht um totale Kontrolle und Gewaltherrschaft. Mehr Dystopie, mehr aufklärerisches Potenzial passt nicht in ein kleines Büchlein für Jugendliche.
England im Jahr 2052. Der Jugendliche Rob wird nach dem Tod seines Vaters in ein Internat gesteckt. Ein Internat wie eine militärische Einrichtung. Drill, Willkür, Gewalt dafür wenig Bildung. Schon bald plant Rob seine Flucht. Nur wohin? Er irrt durch die Konurba, die Massenmetropolen in denen sich die Menschen bei Gladiatorenspielen, ewigem Karneval, mit Konsum, Holovideos oder bei gelegentlich Aufständen vergnügen und abreagieren. Eine schöne neue Welt. Außerhalb der Metropolen soll es ein anderes Leben geben. Aber es ist streng verboten in den „Landkreis“ zu wechseln. Und, viel wichtiger: es ist unmöglich in den Landkreis zu gelangen. Es gibt Patrouillen mit Bluthunden, eine dreißig Meter hohe Sperre und einen tödlichen Elektrozaun. Man sieht geradezu die Grenze zur DDR wieder vor seinem geistigen Auge erscheinen. Wie soll es Rob schaffen diese Sperre zu überwinden?
Im Landkreis ist von der Zukunft kaum etwas zu merken. Hier leben die wenigen Menschen wie der Landadel vergangener Jahrhunderte. Hier herrschen Bildung, Freiheit, Gentlemen-Ideale, Kunst und Kultur. Der Reichtum, der den Landkreis prägt, wird erwirtschaftet durch die Massen in der Konurba. So sind die Verhältnisse eben. In beiden Gesellschaftsformen regt sich Widerstand. Widerstand gegen die Unterdrückung, gegen die Ausbeutung, die Willkür, die Gewaltherrschaft. Denn auch im Landkreis regiert das totalitäre Regime.
John Christopher hat eine Welt der Gegensätze entworfen. Dabei hat er lediglich Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung auf die Spitze getrieben. Nichts, was in Die Wächter geschrieben wird, erscheint unmöglich. Zumal heute, fast 50 Jahre nach dem Erscheinen. Die Wächter ist herausragende Unterhaltung für Jugendliche, aber auch für Erwachsene. Es ist Warnung vor totalitären Verhältnissen. Es ist eine Mahnung gegen die totale Kontrolle und Überwachung. Es ist eine Warnung vor Ideologien, vor Avantgardismus und Elitenherrschaft. Kurz: Die Wächter ist ein Mustread!
John Christopher
Die Wächter
Aus dem Englischen von Johannes Piron.
(Originalausgabe 1970)
(Erstauflage 1975)
192 Seiten
Verlag: Ravensburger
Preis 5,95 €
ISBN: 978-3473580279