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 Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten

Science-Fiction ist mein absolutes Lieblings-Genre im Bereich der Unterhaltungsliteratur. Das liegt daran, dass hier noch lange nicht alles auserzählt ist. Bei Krimis und Thrillern habe ich häufig das Gefühl alles schon einmal gelesen zu haben. Natürlich gibt es da auch immer wieder großartige Ausnahmen, aber das Genre als solches ist für mich unspannend geworden. Science Fiction hingegen wandelt sich auch deshalb ständig, weil die Menschheit ihr Wissen über das All beständig erweitert, allein dadurch kommen immer wieder neue Impulse zustande. Gewiss, viele Autoren verlagern einfach ihre Macht- und Gewaltfantasien ins Weltall. Da wird dann aus schlichter Kriegsverherrlichung ein Science Fiction Roman. Ein simpler Krimi oder Thriller wird auf einen anderen Planeten verlegt und das war es dann. Das hat natürlich nichts mit guter Unterhaltung zu tun, sondern ist das, was die negative Konnotation des Begriffes Eskapismus prägt. Dass das Genre aber prinzipiell, ähnlich wie Fantasy oder Fantastik, unbegrenzt ist, zeit Becky Chambers mit ihrem grandiosen Debüt „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“.

Es ist Science Fiction auf einem ganz anderen Level, keine Laserschwert-Duelle, kein sinnbefreites Rumgeballer um der schlichten Action willen. Keine H.R. Giger Aliens, keine plumpen hundertmal durchgekauten Raumschiffschlachten oder Verfolgungsjagden, (fast) keine stereotypen Endzeitszenarien und keine „überraschend auftauchende“ allmächtige Alienrasse. Becky Chambers Debüt ist kein Actionfeuerwerk, sondern eine langsam erzählte Reise der Crew eines sogenannten Tunneler-Raumschiffes. Wer mit ruhigen Geschichten nichts anfangen kann und spätestens alle drei Seiten Tote braucht, kann getrost die Finger von Chambers lassen. Die negativen Kritiken sprechen hier eine eindeutige Sprache. Wer sich zur dunklen Seite der Macht hingezogen fühlt, wer Sturmtruppler und Darth Vader anstatt der Jedi-Rebellen abfeiert, wer Predator für eine gute Geschichte hält und bei Prometheus nicht verzweifelt, der solle lieber bei Robert A. Heinleins Starship Troopers bleiben.

Eine neue Space Opera ist aufgegangen

„Ihre Stimme war so leise, wie ein fallendes Blatt.“
Wer hingegen an Gedanken und Empfindungen von Charakteren interessiert ist, wer sich mit den Figuren eines Romans identifizieren möchte, in Sympathie oder Antipathie, wer Hintergrundgeschichten nicht für störendes Rauschen hält, der sollte, nein, der muss Becky Chambers eine Chance geben. Zugegeben, es gibt keinen klassischen Spannungsbogen. Es ist quasi eine Space Road-Novel. Das Raumschiff befindet sich auf einem „langen Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“. Und währenddessen lernen wir das von Chambers erdachte und zwar grandios erdachte Universum kennen. Das ist World Building der Champions League. Gleichzeitig wird die interspeziäre Mannschaft vorgestellt und zwar in einer selten gelesenen Tiefe. Gefühle spielen bei Chambers eine herausragende Rolle. Auch wer damit nichts anfangen kann, wer also eher dem Haben als dem Sein zugewandt ist, wird schnell von Chambers angeödet sein. Denn in dem Universum der Wayfarer (der Name des Schiffes ist mittlerweile Titelgebend für die inzwischen entstandene Trilogie) überwiegt Kooperation vor Konflikt. Kein Kampf, sondern Diplomatie. Reden und (Ver)Handeln.

Chambers hat ihr Debüt nur mit Hilfe eines Crowdfunding zu Ende bringen können. Dadurch hat es aber auch offenbar sehr viele „Betaleser*innen“ gegeben, die sehr viele Korrekturen und Ideen eingebracht haben. Das könnte auch der Grund sein, wieso so vieles, auch kleine Details, durchdacht ist. Für Freunde der (inhärenten) Logik einer Romanwelt ein wahres Fest. Damit nicht genug ist der Auftakt zu dieser Space Opera auch sprachlich äußerst gelungen. Nicht nur, dass es sich flüssig liest, es sind auch einige literarische Leckerbissen dabei. Also auch eine Einladung für Sprachliebhaber*innen.

„Da war ein Sternennebel, eine Explosion aus Licht und Staub, der glühend heiße Leichnam eines uralten Riesen. In den Falten des Gasnebels schlummerten, sanft leuchtend, Trauben ungeborener Sterne. … Jedes Teil, bis zum letzten Atom, war hier draußen entstanden, war in einem Ausbruch der Urgewalten durchs All geschleudert worden, bis alles zu kreisen begann, wirbelnd, miteinander verschmelzend, schwerer werdend, sich zusammenballend. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt schwebten die Teile wieder schwerelos.“

weltall

Der Spaß kann beginnen

Und wie es sich für ein außerordentliches Weltraumepos gehört, ist das Buch unterhaltsam, interessant, episodisch spannend, immer wieder äußerst humorvoll und voller ergreifender Emotionen. Und das Spiel mit den Gefühlen beherrscht Chambers exquisit. Selten wurde ich in einigen Szenen emotional so mitgerissen, zumal das dann auch überraschend kommt. So macht Science Fiction Spaß. Aber klar, wer mit dem Genre so gar nichts anfangen kann, der wird auch hier unzufrieden sein. Schließlich ist das Wayfarer Universum voll von den absurdesten Kreaturen (oh, ich verfalle dem Speziesismus). Für mich geht die Reise also weiter. Teil 2 wartet bereits auf mich.

 

Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Fischer.

 

Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten Book Cover Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten
Wayfarer
Becky Chambers
Science Fiction
FISCHER Tor
Taschenbuch
544
https://www.fischerverlage.de/buch/becky_chambers_der_lange_weg_zu_einem_kleinen_zornigen_planeten/9783596035687
Karin Will
10,99 €
978-3-596-03568-7

Grandioses Weltraumepos. Unbedingt empfehlenswert für Genreliebhaber. Nichts für die dunkle Seite der Macht.