Starship
Erst vor ein paar Wochen habe ich überhaupt von Brian Aldiss erfahren. Dank der großartigen Serie „Meisterwerke der Science-Ficiton“ des Heyne Verlages, in der „Der lange Nachmittag der Erde“ neu aufgelegt wurde. Und da es sich dabei um einen absoluten Ausnahmeroman handelt, habe ich mir gleich noch „Starship – Verloren im Weltraum“ aus dem Mantikore Verlag besorgt. Starship ist Aldiss erster Science-Fiction Roman, geschrieben hat er ihn bereits 1958. Und so wie Alien von Ridley Scott aus dem Jahr 1979 zeitlos und visionär bleibt, so sind auch Aldiss‘ Romane unvergängliche und stets aktuelle Meisterwerke. Und um es kurz zu machen, auch Starship ist genial, fantastisch und richtungweisend. Zwar über 60 Jahre alt aber der Roman hätte genauso gut auch heute geschrieben sein können. Brian Aldiss ist für mich der neue Maßstab, was fantastische Fiction kann – jenseits von Helden- und Militärepen sowie jenseits von Technikverliebtheit und Fortschrittsgläubigkeit.Generationenraumschiff
In Starship driftet ein havariertes Mehrgenerationenraumschiff seit ungewissen Zeiten ziellos umher. Es sind dermaßen viele Generationen vergangen, dass das Wissen um das Schiff verlorengegangen ist. Pflanzen haben sich des Raumschiffes ermächtigt. Und hier erkennt man schon eine Parallele zu „Der lange Nachmittag der Erde“. Nicht die einzige Ähnlichkeit, ohne jedoch jemals in allzu bekanntes abzugleiten, geschweige denn sich selbst zu plagiieren. Dennoch sind auch die Passagiere des riesigen Raumschiffes in Stammesstrukturen zurückverfallen. Und auch hier spielt ein eigenes Glaubenssystem eine zentrale Rolle. Sogar noch grandioser als bei Hothouse. Das Wissen aus den Wissenschaften ist zwar weitestgehend verlorengegangen, nicht aber die Begriffe und der Glaube an die Vernunft. Übrig geblieben ist eine Art Cargo-Kult, der das alte kopiert ohne die ursprüngliche Bedeutung zu kennen, diese sogar teils pervertiert.
Wieder begleiten wir einen unfreiwilligen Helden, der im eigentlichen Sinne auch gar keiner ist. Durch schicksalhafte Fügungen muss der Protagonist seinen angestammten Abschnitt im Schiff verlassen und sich durch die unbekannten Abschnitte hindurchkämpfen. Wieder gibt es bizarre Lebensformen, Riesen, Ratten, Pflanzen. Das aufgezwungene Abenteuer ist eingebettet in die Suche nach der Wahrheit der eigenen kleinen Welt. Wohin fliegt das Raumschiff, wie lange schon und was ist passiert? Aldiss schafft es wieder wunderbar die Perspektive des Nicht-Wissens und Anders-Wissens einzunehmen und schriftstellerisch zu verarbeiten.
Das Monster Vernunft
Im Gegensatz zu den meisten Science-Fiction Autor*innen ist Aldiss ein bedächtiger Kritiker von Technologie und Ideologie. Seine Held*innen sind keine Übermenschen, sie sind nicht einmal richtige Anti-Helden, sondern Menschen, die aus dem Alltag in besondere Situationen geworfen werden, an denen sie zwar wachsen, aber nicht durch außergewöhnliche Eigenschaften glänzen. Ganz im Gegenteil sind sie sogar Prototypen der gewöhnlichsten Charakterzüge ihrer Zeitgenossen. Und auch die Menschheit steuert nicht glorreichen Zeiten entgegen, die menschliche Vernunft meistert nicht alle Hürden und ein Happy End ist auch nicht immer in Sicht.
Denn die Herzen der Männer wurden wie das harte Metall, „das sie so lange geliebt und dem sie gedient haben“. Man könnte hier wieder einmal Adorno und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“ herauslesen. Die instrumentelle Vernunft, die jede noch so zerstörerische technische Leistung und Machbarkeit abfeiert, die jede Moral und Ethik als weibisch ablehnt und jedweden Genozid als Machbarkeitsstudie begreift.
Der Stern am Himmel
Was Aldiss aber vor allem ausmacht, ist, dass er all das völlig unaufdringlich in seine Geschichten einwebt und dabei niemals belehrend wirkt oder seine Geschichte in den Hintergrund gedrängt wird. Ganz im Gegenteil überwiegt zu jeder Zeit das Erzählerische. Und Aldiss ist dabei auch noch ein ausgezeichneter Schriftsteller, der die großen Emotionen in Worte zu fassen weiß.
Es war etwas Kleines. Es war einfach nur, Laurs Gesicht zu sehen – im Sonnenlicht.
Für mich ist Aldiss in kürzester Zeit zur Referenz in der fantastischen Science-Fiction geworden, der alle anderen Autor*innen auf die Plätze verweist. Knapp vor den Strugatzkis.
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Science Fiction
Mantikore Verlag
2018
Taschenbuch
660
https://mantikoreverlag.de/starship-verloren-im-weltraum/
Andrea Blendl
13,95 €
978-3961880171

Grandios. Aldiss ist der Großmeister der fantastischen Science-Fiction.