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Roman:
Astrid Göpfrich
Preis:
16,- €

Rezension von:
Bewertung:
4
26. November 2019
Letzte Änderung:26. November 2019

Leichte Unterhaltung mit stillem Tiefgang

Herr Fliegenbein und die Suche nach der Stille

Bereits 1908 schrieb der großartige Theodor Lessing „Der Lärm. Eine Kampfschrift gegen die Geräusche unseres Lebens.“ Der erste Satz lautet: „Ungeheuerliche Unruhe, grauenhafte Lautheit lastet auf allem Erdenleben.“ Ein Satz den Astrid Göpfrichs Protagonist Herr Fliegenbein sofort unterschreiben würde. Um sich diesem Grauen zumindest ein wenig zu entziehen, rennt Herr Fliegenbein nämlich ständig mit einem Ohrenschutz herum. Allerdings nicht mit einem dezenten In-Ohr-Stöpsel, sondern mit sogenannten Micky Mäusen, also mit Bauarbeiter Gehörschutz. Und schnell wird klar, das wird kein normaler Roman, sondern es wird etwas absurder. Man könnte auch sagen, es handelt sich um eine leichte Groteske. Rennt Herr Fliegenbein auf seiner Flucht vor dem Lärm oder andersherum auf seiner Suche nach der Stille doch auch gleich noch mit einer Stehlampe umher. Warum? Ja, warum denn nicht?

Der äußerst lärmempfindliche Fliegenbein findet ausschließlich in seinen vier Wänden beim Anblick eines Bildes seine Ruhe. Dumm nur, dass ausgerechnet dieses Bild zerstört wird. Von einer Abrissbirne. Man ahnt es schon, die dazugehörige Wand fehlt dementsprechend nun auch noch. Seines einzigen Fluchtortes beraubt, bleibt ihm nichts Anderes übrig, als sich sofort auf eine „Reise zu den stillsten Orten der Welt“ aufzumachen. Und eine absurd-groteske Geschichte wäre keine, wenn sich Herrn Fliegenbein nicht noch ein kleiner Junge anschließen würde. Den er gar nicht kennt. Einfach so.

Suche oder Flucht?

Astrid Göpfrich erzählt eine warmherzige und amüsante Geschichte über die Flucht vor dem Lärm des modernen Lebens. Eisfischen in Finnland? Oder doch lieber  einen der abgeschiedensten Orte der USA bereisen? Oder gar an den stillsten jemals gemessenen Ort der Welt zurückziehen? Kann Herr Fliegenbein seinen neuen Hort der Ruhe finden? Dabei ist er die Karikatur des nach Ruhe und Einsamkeit strebenden Stadtbürgers. Eine Hyperbel und zugleich ein hochsympathischer Antiheld. Es kann so nicht weitergehen. Wie es weitergeht ist unklar. Hauptsache anders.

Mich hat das Thema sofort gepackt als ich die Vorankündigung las. Bevorzuge ich doch selber mittlerweile die ruhigen und stillen Orte. Und wie vermutet, finden sich in der Geschichte meist relativ unaufdringlich auch einige Passagen die aus den Bereichen der Achtsamkeit stammen dürften, jedoch wohl auch aus dem ein oder anderen weniger gelungenen Lebensratgeber. Denn manch Einsicht Fliegenbeins ist doch eher fraglich: „Herr Fliegenbein erkannte jäh, dass das verdrängen unangenehmer Tatsachen Bestandteil eines sorglosen Lebens war.“ Da wird der Sozialpsychologe in mir irritiert hellhörig.

Gut aber Potenzial verschenkt

Insgesamt wurde aber leider viel zu viel Potenzial verschenkt. Die Orte sind nicht besonders einfallsreich. Viel eher wird die Liste der klassischen stillen Orte abgearbeitet, wie sie auch bei Google sofort auftaucht, wenn man eine entsprechende Suche bemüht. Auch die Artikel, die dort angezeigt werden, finden sich paraphrasiert im Buch wieder. Etwas mehr Recherche, Kreativität und Freude am Entdecken des Neuen des Protagonisten wären wünschenswert gewesen. Auch das ein oder andere Sprachbild ist etwas missglückt: „…, das sich in seine Hirnnerven bohrte wie eine abstürzende Propellermaschine in einen frischen Ackerboden.“

So bleibt es eine seichte Unterhaltung mit eingestreuten Weisheiten aus dem Umfeld des Buddhismus. Wer das mag, findet eine wunderbare kleine Geschichte, schöne Unterhaltung an kalten Wintertagen.

 

Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es direkt bei Piper.

 

Herr Fliegenbein und die Suche nach der Stille
Astrid Göpfrich
Roman
Hardcover mit Schutzumschlag
256 Seiten
Preis: 16,- €
ISBN: 978-3-86612-474-5