Sherlock Holmes
Sherlock Holmes ist für mich der Inbegriff der Nostalgie. In ruhiger, gelassener Atmosphäre sitzt Holmes in seinem viktorianischen Ohrensessel umgeben von Büchern und Zeitungen und denkt nach. Oder besser: deduziert. Nun gut er kokst auch und raucht Opium, aber das wusste ich als Kind noch nicht. Vor allem habe ich Sherlock Holmes über die zahlreichen Verfilmungen kennengelernt. Sherlock Holmes ist Popkultur. Es gibt Fernseh- und Kinofilme, Comics, Spiele und unzählige Cross-Adaptionen (selbst als Lustiges Taschenbuch mit Micky Holmes & Donald Watson) und Unmengen an Merchandise. Man muss also nicht eine einzige Geschichte von Arthur Conan Doyle gelesen haben, um die Bewohner der Baker Street 221b zu kennen. Wieder einmal eines jener Werke, von denen man irgendwie alles kennt und doch nichts gelesen hat. Und das sollte dringend geändert werden.Eigentlich wollte ich hier jetzt das vermutlich beste E-Book aller Zeiten vorstellen, nämlich die Gesamtausgabe von Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“. Alle vier Romane und 56 Erzählungen mit 120 Illustrationen in einem E-Book. Und das für 99 Cent! Allein alle Romane und Erzählungen in einer Ausgabe zu bekommen, ist überraschend schwer. Irgendwie hatte ich gedacht, dass solche alten Geschichten in zig Ausführungen auf dem Markt wären. Weit gefehlt. Es gibt entweder die vier Romane oder die Erzählungen, aber kaum beides zusammen. Ich habe lediglich eine einzige weitere (deutsche) Ausgabe gefunden, die alle Werke versammelt. Diese gibt es allerdings wiederum nicht als E-Book. Und es ist gerade bei knapp 2200 Seiten doch ein erheblicher Vorteil nur den Reader dabei zu haben, als ein paar Kilo Bücher. Das E-Book überzeugte dabei auch noch mit einer wunderbar alten Übersetzung nämlich vornehmlich der deutschen Erstausgabe. In den neuen “Sämtlichen Werken“ überwiegt eine modernisierte Übersetzung, die mir weniger gefällt, da die alte Sprache mich viel eher in die viktorianische Zeit zu versetzen vermag.
Sämtliche Werke
Die Vergangenheitsform deutet das Drama bereits an. Und das ist dann auch mein wesentlichster Kritikpunkt an E-Books. Sind sie einmal vom Markt verschwunden, gibt es kein Second Life, kein Antiquariat. Weg ist weg. Diese fantastische Ausgabe ist samt Anbieter verschwunden. Ein echter Verlust und somit leider keine Möglichkeit sich das E-Book gebraucht zu besorgen. Bleibt also nur auf die wenigen anderen Möglichkeiten zurückzugreifen. Welche man dann nimmt, muss jede*r für sich herausfinden. Ich würde im Moment zur Anaconda Ausgabe neigen „Sherlock Holmes – Sämtliche Werke in 3 Bänden“. Da hat man auch alles zusammen und auch mit den alten Zeichnungen von Sidney Paget. Lediglich auf die zu lesende Reihenfolge muss man selber achten. Je nachdem auch, wie man sie lesen möchte. In der Reiehnfolge der Ereignisse oder in der Reihenfolge wie sie geschrieben wurden.
Auch wenn das fantastische E-Book also verschwunden ist, möchte ich die Werbe-Rezensionstrommel für Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“ rühren. Die Stimmung, die Conan Doyle zu erzeugen und transportieren vermag, ist einzigartig. Bereits nach wenigen Sätzen, ist man gefangen im Mahlstrom des Holmes-Universum. Der im Wesentlichen dialogbasierte Erzählstil lässt keine Zeit für langsame Einstiege und viel Drumherum. Was auch daran liegt, dass die Kurzgeschichten ursprünglich im Strand Magazine veröffentlicht wurden und die Leser*innen der Zeitschrift mit jedem Abenteuer neu einsteigen können sollten. Der Großteil der Fälle wird aus der Perspektive Dr. Watsons erzählt. Holmes Mitbewohner, Freund und Chronist. Einige wenige Fälle werden aus der Perspektive Holmes erzählt, was zu durchaus Interessanten Wechseln im Stil führt. Seltener wird die dritte Person bemüht, so vor allem in den Romanen.
Ein Leben voller Abenteuer
Conan Doyle schrieb von 1887 bis 1927 an den Erlebnissen seines großen Kriminalhelden und natürlich auch seinem größten Erfolg. Dabei gilt Sherlock Holmes als einer der ersten Detektive (auch wenn es natürlich Vorbilder gab). Er ist der Prototyp und unzählig kopierte analytisch-rationale Denker, der zugleich nur geringe soziale Kompetenz zu besitzen scheint und nur zu geringem Mitgefühl fähig ist. Vieles ist dabei allerdings eher mediale Folklore. Conan Doyle hatte Holmes weniger konsequent konstruiert. Das beginnt schon bei der ikonischen Pfeife Holmes, die gebogene Pfeife mit der Holmes heute in der Regel dargestellt wird, wird von Conan Doyle nicht ein Einziges mal erwähnt.
Conan Doyle hat mit Holmes aber nicht nur eine spannende literarische Figur geschaffen, sondern er hat mit Holmes kriminalistischer Methode tatsächlich die modernen Ermittlungsmethoden vorweggenommen. Das, was man populärwissenschaftlich „Profiling“ nennt, ist letztlich nichts anderes als die sogenannte Operative Fallanalyse, eines der modernsten Instrumente zur Verbrechensbekämpfung. Hier hat Conan Doyle tatsächlich nicht nur literarisch Neues geschaffen, sondern auch die weltweite Arbeit von Ermittlern bereichert. Sicherlich einer der Gründe, warum Holmes damals wie heute zu begeistern vermag. Es ist nicht einfach hanebüchener Schmu, den Conan Doyle auftischt (auch wenn das gelegentlich natürlich auch vorkommt), sondern eine verwissenschaftlichte Ermittlungsmethode.
Elementares Lesevergnügen
Dabei sind die 60 Fälle nicht alle gleich spannend oder logisch. Dennoch haben mich fast alle in ihren Bann geschlagen. Lediglich bei zwei Abenteuern musste ich dann doch die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Aber wenn man sich mit der Biografie von Conan Doyle beschäftigt, können alle Holmesianer sehr froh sein, dass nur wenige Geschichten so sehr von seinen Interessen getrübt wurden.
Wer nach den knapp 2.200 Seiten immer noch nicht genug von Holmes, Watson und Lestrade hat, also so wie ich, der kann noch zu weiteren Erzählungen greifen. Denn neben dem offiziellen Kanon, also den vier Romanen und 56 Kurzgeschichten, hat Conan Doyle auch noch weitere Geschichten mit Holmes Bezug geschrieben. So kann man beim großartigen JMB Verlag aus Hannover den tollen Band »Exzellent!« rief ich – »Elementar«, sagte er bestellen. Hier bekommt man einiges an Sekundärwissen und eben einige Geschichten, die es nicht in den Kanon geschafft haben. Gerade im Bereich der Sekundärliteretur gibt es dann auch noch einiges Mehr zu lesen. Da hat mich aber kaum etwas zufrieden gestellt. Lediglich „Die Welt des Sherlock Holmes“ von Maria Fleischhack hat mich überzeugt.
Holmes und kein Ende
Und wer sich durch nahezu 4.000 Seiten Primär- und Sekundärliteratur gearbeitet hat, kann dann noch zu zahlreichen Pastiches greifen. Herausragend ist dabei „Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud“ von Nicholas Meyer, der nicht nur den Ton von Conan Doyle von allen Nachahmern am besten trifft, sondern auch eine ausgezeichnete Geschichte im Stile Conan Doyles gewoben hat. Freud passt perfekt in das Holmes Universum. Und damit ist es auch das einzige Pastiche, das ich wirklich empfehlen kann. Nicholas Meyer hat zwar auch noch weitere geschrieben, reitet dabei aber zu sehr auf seinem Erfolgskonzept rum. So werden Houdini, Bram Stoker, Bernard Shaw und das Phantom der Oper herangezogen um einen Holmes in James-Bond-Manier durch die Gegend zu scheuchen. Andere Autoren kann man meines Erachtens getrost beiseitelassen. Allerdings sei erwähnt, dass es gerade bei deutschen Holmes-Pastiche-Autoren durchaus eine Fan-Community gibt. Mich hat es nicht erreicht, aber vielleicht lohnt es sich für andere dort vorbeizuschauen.
Allein mit den Holmes Büchern kann man also locker einige Monate zubringen. Wer dann noch immer nicht genug hat, schaut sich am besten die alten Filme an. Ich schwöre ja auf die Fernsehserie der BBC mit Jeremy Brett und David Burke. Und als absolutes Highlight, das habe ich schon als Kind/Jugendlicher geliebt, gibt es das Spiel des Jahres 1985 „Sherlock Holmes Criminal-Cabinet“. Im Original zwar nur noch gebraucht zu erhalten, aber Asmodee hat das Spiel 2020 unter dem Namen „Sherlock Holmes Beratender Detektiv: Die Themse-Morde & andere Fälle“ in fast identischer Aufmachung neu herausgebracht.
Man könnte also fast sagen einem Holmes-Jahr steht nichts im Weg. Und wie ich gerade in meinem Blogbeitrags-Entwurf gesehen habe, habe ich den bereits im Dezember 2020 angelegt. Ich habe also mit allem Drum und Dran über ein Jahr daran gelesen.
Die einzig wahre Reihenfolge
Jahr | Monat | Titel | Art |
1887 | November | Eine Studie in Scharlachrot | Roman |
1890 | Februar | Das Zeichen der Vier | Roman |
1891 | Juli | Ein Skandal in Böhmen | Erzählung |
1891 | August | Die Liga der Rotschöpfe | Erzählung |
1891 | September | Eine Frage der Identität | Erzählung |
1891 | Oktober | Das Rätsel von Boscombe Valley | Erzählung |
1891 | November | Die fünf Orangenkerne | Erzählung |
1891 | Dezember | Der Mann mit der entstellten Lippe | Erzählung |
1892 | Januar | Der blaue Karfunkel | Erzählung |
1892 | Februar | Das gesprenkelte Band | Erzählung |
1892 | März | Der Daumen des Ingenieurs | Erzählung |
1892 | April | Der adlige Junggeselle | Erzählung |
1892 | Mai | Die Beryll-Krone | Erzählung |
1892 | Juni | Die Blutbuchen | Erzählung |
1892 | Oktober | Die Abenteuer des Sherlock Holmes | Sammelband |
1892 | Dezember | Silberstern | Erzählung |
1893 | Januar | Die Pappschachtel | Erzählung |
1893 | Februar | Das gelbe Gesicht | Erzählung |
1893 | März | Der Angestellte des Börsenmaklers | Erzählung |
1893 | April | Die ‚Gloria Scott‘ | Erzählung |
1893 | Mai | Das Musgrave-Ritual | Erzählung |
1893 | Juni | Die Junker von Reigate | Erzählung |
1893 | Juli | Der Verwachsene | Erzählung |
1893 | August | Der niedergelassene Patient | Erzählung |
1893 | September | Der griechische Dolmetscher | Erzählung |
1893 | Oktober & November | Der Flottenvertrag | Erzählung |
1893 | Dezember | Das letzte Problem | Erzählung |
1901 – 1902 | August – April | Der Hund der Baskervilles | Roman |
1903 | September | Das leere Haus | Erzählung |
1903 | Oktober | Der Baumeister aus Norwood | Erzählung |
1903 | Dezember | Die tanzenden Männchen | Erzählung |
1903 | Dezember | Die einsame Radfahrerin | Erzählung |
1904 | Januar | Die Abtei-Schule | Erzählung |
1904 | Februar | Der Schwarze Peter | Erzählung |
1904 | März | Charles Augustus Milverton | Erzählung |
1904 | April | Die sechs Napoleons | Erzählung |
1904 | Juni | Die drei Studenten | Erzählung |
1904 | Juli | Der goldene Kneifer | Erzählung |
1904 | August | Der verschollene Three-Quarter | Erzählung |
1904 | September | Abbey Grange | Erzählung |
1904 | Dezember | Der zweite Fleck | Erzählung |
1908 | August | Wisteria Lodge | Erzählung |
1908 | Dezember | Die Bruce-Partington-Pläne | Erzählung |
1910 | Dezember | Der Teufelsfuß | Erzählung |
1911 | März & April | Der Rote Kreis | Erzählung |
1911 | Dezember | Das Verschwinden der Lady Frances Carfax | Erzählung |
1913 | November | Der Detektiv auf dem Sterbebett | Erzählung |
1914 – 1915 | September – Mai | Das Tal der Angst | Roman |
1917 | September | Seine Abschiedsvorstellung | Erzählung |
1917 | Seine Abschiedsvorstellung | Sammelband | |
1921 | Oktober | Der Mazarin-Stein | Erzählung |
1922 | Februar & März | Die Thor-Brücke | Erzählung |
1923 | März | Der Mann mit dem geduckten Gang | Erzählung |
1924 | Januar | Der Vampir von Sussex | Erzählung |
1924 | Oktober | Die drei Garridebs | Erzählung |
1924 | November | Der illustre Klient | Erzählung |
1926 | September | Die Drei Giebel | Erzählung |
1926 | Oktober | Der erbleichte Soldat | Erzählung |
1926 | November | Die Löwenmähne | Erzählung |
1926 | Dezember | Der Farbenhändler im Ruhestand | Erzählung |
1927 | Januar | Die verschleierte Mieterin | Erzählung |
1927 | März | Shoscombe Old Place | Erzählung |
1927 | Sherlock Holmes‘ Buch der Fälle | Sammelband |
1887 - 1927
2.200

Wer noch kein Holmesianer ist, sollte es jetzt werden.