Allein unter Flüchtlingen
Dem Suhrkamp Verlag muss es wirklich sehr sehr schlecht gehen, denn „Allein unter Flüchtlingen“ ist das Buchgewordene Clickbait. Die Focus-„Nachricht“ im Taschenbuchformat. Tuvia Tenenbom, der Ken Jebsen des Suhrkamp Verlags, hat laut Verlagseigenwerbung eine „provokante, streitbare Großreportage über die neue deutsche Wirklichkeit“ ((Alle Angaben des Verlags sind der Buchpräsentationsseite entnommen: http://www.suhrkamp.de/buecher/allein_unter_fluechtlingen-tuvia_tenenbom_46758.html )) geschrieben. Provokant und streitbar sollte das Buch werden. Das war ganz offensichtlich die Vorgabe. Hauptsache verkaufsfördernd. Egal wie. Deshalb schwärmt der Verlag weiter, sei das Buch „ebenso aufrüttelnd wie erschütternd“. Erschütternd ist lediglich was in Suhrkamp gefahren ist, diesen Unsinn abzudrucken. Im gewissen Sinne ist es dann auch wieder aufrüttelnd, aber nicht so wie es sich Autor und Verlag gedacht haben.
Tenenbom „wollte wissen, was die wahren Gründe der »Willkommenskultur« waren, warum Deutschland ein großes Herz gezeigt“. Wer „Allein unter Deutschen“ von Tenenbom kennt, kennt natürlich auch die Antwort: wegen Hitler. Besser könnte es die AfD auch nicht sagen. Apropos AfD. Laut Verlag hat Tenenbom Frauke Petry „unbequeme Fragen gestellt“. Die muss der Verlag dann aber vergessen haben abzudrucken. Von Unbequem und Kritik kann bei Petry keine Rede sein. Ganz im Gegenteil. Für Tenenbom ist Petry „eine deutsche Lady“, die sich was traut. Und er mag sie. Wie er eigentlich jeden mag, der irgendwie die Jünger hat, die seine Verkaufszahlen erhöhen könnten. Kritische Fragen an den Vordenker der Neuen Rechten Götz Kubitschek? Fehlanzeige. Für Tenenbom ist Kubitschek ein „netter Kerl“. Was ist mit Pegida und Lutz Bachmann? Irgendwelche unbequemen Fragen? Nicht in diesem Buch. Vielleicht wenigstens bei Akif Pirinçci? Ich meine, da ist es ja nun wirklich nicht mehr schwer – mehr Steilvorlagen für ein paar unbequeme Nachfragen, wird man wohl nie bekommen. Also bitte festhalten. Nachdem Pirinçci auf der Straße angefeindet wird, kommt Tenenbom zu dem bemerkenswerten Schluss:
„Junge und alte Deutsche haben nichts Besseres zu tun, als diesen Mann zu verletzen. Als Akif, den Volksfeind, zu verletzen. Ja, so sieht es aus: Er ist der Volksfeind. Ich beobachte, was sich vor meinen Augen abspielt, und denke mir: Gib den Leuten die Gelegenheit, andere zu verletzen und zu demütigen, sage ihnen, Grausamkeit sei eine Tugend, und sie werden zu Tieren. Adolf Hitler hat dieses Rezept ja im letzten Jahrhundert mit Erfolg ausprobiert. Heute wenden es die selbsternannten Humanisten an, und es funktioniert noch immer.“
Kann man ruhig zweimal lesen das Zitat. Tuvia Tenembom, zu dessen Schreibstil grundlegend Demütigung, Abwertung und Polemik gehört, nimmt Akif Pirinçci in Schutz, zu dessen verkaufsförderndem Programm die Demütigung, Menschenverachtung und Menschenfeindlichkeit gehört, vor den „selbsternannten Humanisten“, die sich gegen die Neurechten wehren. Cooler Griff Butze. Dafür gibt es bestimmt die Ehrenmedaille der Identitären Bewegung oder sonst irgendwelcher Neurechter, die die Umwertung und Okkupation linker Begriffe und Ideen betreiben.
„In früheren Tagen verbrannte man in diesem Land Bücher; heutzutage vernichtet man Autoren. Akif hat wirklich Glück, dass die Krematorien derzeit außer Betrieb sind.“
Man muss schon eine besondere Weltwahrnehmung haben, um solche Sätze irgendwie gut, provokant oder gar lustig zu finden. Man kann auch einfach sagen, dass das Bullshit ist.
„Die Erkenntnisse, die er dabei gewonnen hat, sind mindestens ebenso verstörend wie seine Besuche in den Flüchtlingslagern, wo er von beschämenden Zuständen berichtet, deren Auswirkungen nicht nur individuell verheerend sind, sondern in nicht allzu ferner Zukunft die gesamte deutsche Gesellschaft betreffen werden.“ Und da hat der Verlag dann tatsächlich mal Recht. Die „Erkenntnisse“ des Buches sind verstörend. Es ist eine verstörende Wahlwerbung für die AfD. Eigentlich fehlte nur noch ein Danke Merkel!!!11! Da hilft es dann auch nicht, dass es einige wenige Stellen im Buch gibt, die sich tatsächlich mit dem Buchtitel „Allein unter Flüchtlingen“ beschäftigen und die unvorstellbar schlechten Bedingungen in den Unterbringungen und den Lagern aufzeigen. Hierüber zu berichten wäre dringend notwendig gewesen, um aufzuzeigen, dass das neue Deutschland, das gleiche alte hässliche Deutschland ist – wie eh und je. Die (oft ehrenamtliche) Hilfe vieler Menschen wird durch die Strukturen, die die Bundesregierung zur Verfügung stellt, ad absurdum geführt. Und dabei feiern sich die Verantwortlichen in Politik und Medien für Deutschlands neue Macht und neue Verantwortung – und neue Menschlichkeit. Davon ist sowohl Tenenbom als auch Deutschland weit entfernt.
Tenenboms Blick auf die Welt, ist der Blick eines erzkonservativen Libertären. Alles was nicht in das eigene Wertemuster passt, wird abgewertet und lächerlich gemacht. Kein Vorurteil und kein Klischee („typische Vertreter ihrer ethnischen Gruppe“), das nicht bemüht werden würde, um die Lacher auf seiner Seite zu haben. Dabei nutzt er das gesamte Repertoir der besorgten Bürger. Da wird von geöffneten Grenzen schwadroniert, lügende Intellektuelle und Politiker kolportiert, manipulierende Medien („ich bin Teil der deutschen Medien und weiß, wie sie funktionieren“) herausgekramt und von betrügenden und gewalttätigen Flüchtlingen geschwätzt. Und um den Unsinn abzurunden, weiß Tenenbom auch, was in der Welt los ist: „Viel zu viele Muslime [sind] verrückt geworden – so ist das einfach derzeit.“ Gründe und Ursachen spielen bei Polemik doch keine Rolle. Und Recherchen hätten den Zeitrahmen des Buches wohl gesprengt.
Der Rechtsextremismus findet bei Tenenbom allerdings nicht statt. Keine Anschläge auf Flüchtlingsheime, keine Treibjagden, keine Mordversuche. Das hätte wohl dann doch die Käuferschichten dezimiert. Wollte man doch ganz offensichtlich das Sarrazin und Pirinçci-Publikum erreichen. Die kaufen ja offensichtlich jeden Mist. Am Ende halte ich es mit Tenenbom: „Was für eine Zeitverschwendung.“ ((Und Schade um die 14 Euro ist es auch noch.))
Mehr Informationen inklusive Leseprobe beim Suhrkamp Verlag.
Tuvia Tenenbom
Allein unter Flüchtlingen
Mit Fotos von Isi Tenenbom.
Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Adrian und Bettina Engels
suhrkamp taschenbuch
Klappenbroschur
234 Seiten
€ 13,95
ISBN: 978-3-518-46758-9
Oh no, mein Kommentar ist verloren gegangen 🙁
Also Kurzfassung vom Roman eben: Danke für die tolle Rezension. Ich kann Tenenbom schon seit „Allein unter Deutschen“ nicht mehr ernst nehmen (Bild-Chefredakteur-Fanboy, ernsthaft?). Jetzt feiert er Frauke Petry ab. Anscheinend sind für Tenenbom alle weißen, christlichen Deutschen Nazis, AUSSER es ist wirklich ein Nazi, DANN sind ist diese Person obercool, revolutionär und traut sich was!!1!11!
„Allein unter Flüchtlingen“ klingt wie „Allein unter Deutschen“ in anderer Besetzung, und dank deiner Rezension weiß ich, dass ich es nicht lesen muss.
Cheerio
Mareike