cover horizonte

Horizonte

Alexander Gerst und Lars Abromeit haben bereits bei dem Bildband 166 Tage im All zusammengearbeitet, einem Bildband zu den beiden ISS-Aufenthalten von „Astro-Alex“. Ein sehr schöner und interessanter Bildband mit einem nicht ganz unerheblichen Wermutstropfen. Damals schrieb ich, „dennoch, in ihrem nächsten Band ‚Horizons‘ muss da mehr kommen.“ Denn der Informationsgehalt von 166 Tage im All hielt sich doch arg in Grenzen. Klar ein prinzipielles Problem von Fotobänden. Nichtsdestotrotz erwarte ich für den stolzen Preis von 40 Euro einfach mehr. Bilder kann ich mir schließlich auch sehr gut im Internet anschauen. Und da „Horizonte“ den Rahmen bildet, also vor allem Gersts zweite Mission auf der ISS mit dem Namen Horizons, finden sich u.a. auf flickr wieder zahlreiche Bilder der ESA-Mission, darunter auch einige, die im Bildband verwendet werden.

Aber gleich vorab, fast alles was bei 166 Tage kritikwürdig war, haben die beiden Autoren hier besser gemacht. Informativ, unterhaltsam, lehrreich mit großartigen Bildern – und im Mittelpunkt steht das Entdecken und nicht Alexander Gerst. Natürlich sind auch weiterhin die Fotos von der ISS und aus dem Weltraum der Kern des Geo-Bandes. Und einige davon kann man auch hochauflösend im Internet bewundern. Über die Horizons Mission war bereits in der aktualisierten Auflage von 166 Tage im All berichtet worden. Aber dieses Mal geht es um mehr als die ISS-Missionen Gersts. Angereichert wird der Bildband mit Abbildungen von historischen Entdeckungsreisen und Entdeckern, zu Land, zu Wasser (unter Wasser) und in der Luft – könnte man in Reminiszenz sagen.

Hurricane Florence  ISS

Hurricane Florence von der ISS aus gesehen. Klimaforschung aus dem Weltraum | ESA/A.Gerst, CC BY-SA 3.0 IGO

Warum wir entdecken

Gersts Zielgruppe sind die jungen Entdecker*innen der neuen Generationen. Und so liest sich das Buch auch weitestgehend als Motivationsratgeber. Die Kapitel heißen u.a. „Die Kraft der Neugier“, „Vom Geist des Teams“ oder „Mehr Mut zum Risiko“ und so klingt manches nach Buzzwording aus einem Manager Handbuch. Da sind Grautöne fehl am Platz, was das Ganze aber durchweg zu idealistisch macht. Unter anderem wird auch immer wieder auf Ernest Shackleton verwiesen. Der ist zwar in den USA gerade hip, weil er seine Mannschaft so schön aus den Gefahren der Antarktis gerettet hat – und deshalb heute als vorbildlicher Führer gilt. Dabei wird dann aber auch ganz gerne vergessen, dass er die Menschen für seine Ruhmsucht überhaupt erst diesen Gefahren ausgesetzt hat. Dass die Mannschaft dann auch noch ihre Kameraden, die Hunde, verspeist hat, fällt dann auch lieber unter den Tisch.

shackletons antarktik expedition

Shackletons Antarktik Expedition – Das Schiff läuft auf und die Mannschaft ist am Verhungern. Vorbild Shackleton?

Mond und Mars sind die neuen Kontinente unserer Zeit. Sie sind etwa ebenso schwer zu erreichen, wie es die Antarktis vor einem Jahrhundert war. Der Nutzen von Expeditionen dorthin war damals nicht offensichtlich. Heute aber gewinnen wir durch die Forschung im Eis lebenswichtige Daten. In 100 Jahren werden wir Ähnliches über Forschungsstationen auf dem Mond sagen. Alexander Gerst

Abenteuer Wissenschaft

Aber seis drum. Das Buch greift die Begeisterung Gersts und Abromeits für ihre Arbeit auf. Der eine Wissenschaftler und Astronaut, der andere GEO-Reporter für Extrem-Expeditionen. Beide stürzen sich immer wieder ins Unbekannte. Und eben diese Begeisterung will der Band vermitteln. Angesichts der teils atemberaubenden Bilder gelingt dies auch ohne weiteres. Nur geht mir die Technik- und Fortschrittsgläubigkeit zu weit. Das ist dann doch zu schwärmerisch, angesichts der ganzen Probleme, die die Welt überhaupt erst hat, aufgrund der technischen Entwicklung. Gerst ist da leider der hundertprozentige Wissenschaftler, der daran glaubt, Neugier würde den Menschen antreiben. Das mag für manche Wissenschaftler*innen gelten. Mindestens die Kapitalgeber treibt allerdings der Profit an. Ein nicht unwesentlicher Kritikpunkt gerade angesichts Gersts Lobbyarbeit für Marsmissionen. Besonders hier wirkt das Buch verklärend, wenn Abromeit darauf hinweist, dass heute das Unbekannte nicht mehr erobert wird, sondern, dass man es verstehen will. Kein privates Raumfahrtunternehmen ist ein gemeinnütziger Verein, möchte man erwidern.

Die etwa 150 Bilder rahmen ein Gespräch von Gerst und Abromeit. Wobei es eher ein Interview ist, bei dem Abromeit als Stichwortgeber dient. Durch dieses Format, untergliedert in acht Kapitel, werden aber viele interessante Punkte von Entdeckungsreisen und Abenteuern, die Wissen schaffen, angesprochen. Wer sich mit Raumfahrt beschäftigt, landet früher oder später immer auch bei den Polarforschern des vergangenen Jahrhunderts. Das liegt schlichtweg daran, dass diese ebenfalls in einer menschenfeindlichen Umgebung Entdeckungen vorangetrieben haben. Amundsen, Scott, Shackleton, Wegener, Nansen, Neumayer – und einigen begegnet man auch in Horizonte. Wobei nicht immer klar genug zwischen Wissenschaft und egoistischen Interessen getrennt wird. Der Mut Scotts hat schließlich zu seinem Tode geführt. Nach Meinung von Gerst und Abromeit der Preis, den man für den Fortschritt zahlen muss. Nun ja.

Freude am Entdecken lernen

Aber immerhin fehlt es nicht gänzlich an Warnungen. So wird stellvertretend Alexander von Humboldt zitiert:

Es kann sei, dass wir irgendwann zu fernen Planeten reisen werden, und dorthin werden wir dann unsere Mixtur aus Arroganz, Gier und Gewalt mitnehmen. Wir werden diese Planeten so veröden, wie wir es schon mit unserer Erde tun.

Leider nehmen diese kritischen Reflexionen zu wenig Platz ein. Nichtsdestotrotz, in Anbetracht der Zielgruppe, ist der Bildband ausgezeichnet und kann kleine bzw. junge Entdecker*innen sicher anspornen, sich mehr mit Wissenschaften und Forschung zu beschäftigen. Auch wenn ich an der ein oder anderen Stelle eine kritischere Betrachtung bevorzugt hätte, hat mir der Bildband große Freude bereitet. Und nun wandert er weiter zu meinen Nichten und Neffen. Schließlich wird das die nächste Generation von Feldforscher*innen und Astronaut*innen.

 

Direkt bei Geo bestellen.

 

Horizonte - Warum wir entdecken Book Cover Horizonte - Warum wir entdecken
Alexander Gerst und Lars Abromeit
Sachbuch
Gruner + Jahr
08.10.2021
Großformat Hardcover mit 150 Abbildungen
216
https://shop.geo.de/de_DE/produkte/buecher/horizonte---warum-wir-entdecken/G729296.html
40,00 €
978-3-8310-4107-7

Wunderschöner motivierender und lehrreicher Bildband.